Seelenriss: Thriller
und zerschellte Augenblicke später auf dem Asphalt.
»Nehmen Sie meine Hand!«, schrie sie und spürte, wie ihr das Adrenalin durch die Adern schoss, während sie sich in schwindelerregender Höhe mit einer Hand am äußeren Ende der Brüstung festhielt und die andere nach Wallau ausstreckte. Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn, als ihre Hand nur noch weniger als fünf Zentimeter von seiner entfernt war. Unten hatte sich inzwischen eine Menschentraube gebildet, die das Geschehen mit entsetzten Gesichtern beobachtete.
Der Psychiater starrte Lena keuchend an und ergriff ihre Hand. Sowohl ihre als auch seine Hand waren schweißnass.
»Um Gottes willen, beeilen Sie sich«, ächzte Lena, als sie spürte, dass ihre Kräfte sie verließen und sie sich nicht mehr lange halten konnte.
Wallau zog sich ein Stück weit an ihr hoch und hätte es fast geschafft, da hielt er in letzter Sekunde inne. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. In seinem Blick lag auf einmal jenes Funkeln, das Lena sehr wohl zu deuten wusste.
»Nein, tun Sie es nicht!«
Der Professor sah ihr in die Augen und schenkte ihr ein seltsames Lächeln. Abrupt ließ er ihre Hand los. Er stürzte in die Tiefe und kam mit einem dumpfen Schlag auf dem Asphalt auf.
Die Zeit stand sekundenlang still, während Lena sich an dem Geländer festklammerte und wie erstarrt auf den leblosen Körper von Professor Simon Wallau hinunterblickte, der in einer Blutlache auf dem Bordstein lag.
33
»Wie geht es Ihnen, Peters?« Die Frage stellte Wulf Belling, der soeben mit einer ganzen Horde von Polizisten, Sanitätern sowie einem Team der Spurensicherung in der Praxis des Psychiaters eingetroffen war.
Lena saß völlig aufgelöst vor dem offenen Fenster des Sprechzimmers und antwortete nicht. Die Beine angezogen und mit den Armen fest umschlungen, lehnte sie mit dem Rücken an der Wand und starrte ins Leere. Ihr Gesicht war noch immer aschfahl, während sie krampfhaft darüber nachdachte, was Professor Wallau dazu bewogen haben könnte, sich in den Tod zu stürzen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr einfach nicht gelingen, ihre Gedanken in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.
»Niemand hätte den Tod des Psychiaters verhindern können. Auch Sie nicht«, meinte Belling und streckte ihr seine Hand entgegen.
Lena schlug sie aus. Sie sagte: »Ist schon seltsam, dass unser Killer seine Opfer aus dem Fenster stürzt und nun ausgerechnet Wallau vor meinen Augen in den Tod springt.«
»Das können Sie laut sagen«, sagte Belling und kratzte sich im Genick. »Dafür gibt es inzwischen Neuigkeiten, was diese ominöse Website anbelangt.«
Lena hob den Kopf und sah zu ihm auf. Tränen der Verzweiflung standen ihr noch immer in den Augen. »Wir wissen jetzt, wer der Betreiber ist?«
Ihr Kollege verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Betreiber in .«
»Eine Frau?« Das überraschte Lena. »Wissen wir schon, wo sie sich aufhält?«
»Sie wohnt auf Sylt, hat ihren Erstwohnsitz aber offiziell auf die Cayman Islands verlegt«, wusste Belling.
In Gedanken versunken, schüttelte Lena den Kopf. »Sieht ganz so aus, als hätte sie sich mit diesem schmutzigen Geschäft um Schuld und Sühne eine goldene Nase verdient.«
Er nickte und blickte mit geschürzten Lippen auf seine Armbanduhr. »Wenn alles glattgeht, müsste sie in diesen Minuten mit ihren Anwälten auf dem Revier eintreffen.«
»Dann sollten wir uns wohl besser auf den Weg machen«, sagte Lena und richtete sich auf, als sich der schrille Klingelton von Bellings Handy meldete.
Belling klappte es auf, warf einen Blick auf das Display und drückte den Anrufer wieder weg.
»Haben Sie mir überhaupt zugehört?«, fragte Lena pikiert.
»Ähm, was?« Er ließ sein Handy zuschnappen. »Ach so, ja, natürlich«, sagte er schnell. »Aber lassen Sie mal, gehen Sie nach Hause – ich kann das Verhör ebenso gut mit Ben Vogt führen.«
Lena wollte widersprechen, aber Belling bestand darauf.
Ihr Blick taxierte ihn, als er sein Handy wieder einsteckte. »Hören Sie, Belling – ich weiß genau, dass Sie derzeit unter Strom stehen.« Sie kaute auf der Innenseite ihrer Backe herum. »Sagen Sie Bescheid, falls Sie …« Lena brach ab und schnupperte in die Luft. »Riechen Sie das? Da brennt was!« Seit dem Unfalltod ihrer Eltern witterte Lena selbst die allerkleinste Rauchentwicklung wie ein Spürhund. »Was ist mit Olga Romanov?«, fragte sie hastig und war mit einem Satz auf den Beinen. »Wurde die
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