Seelenriss: Thriller
Ermittlungen noch nie damit gerechnet hatte, eines Tages nicht auch durch die Klinge eines Serienmörders zu sterben. Oder bei einem Verkehrsunfall, so wie ihre Eltern. Doch ausgerechnet durch einen Tumor im zentralen Nervensystem? Nein, darauf war sie wahrlich nicht vorbereitet gewesen.
Weitere Minuten vergingen, in denen Lena sich fragte, was ihr mehr zu schaffen machte: die Todesdiagnose an sich oder aber die Ungewissheit, wie lange sie noch zu leben hatte.
»Es gab schon Patienten, die Jahrzehnte mit dem Tumor überlebt haben«, hallte die Stimme der Ärztin in ihrem Kopf nach. Ihre Worte hatten aufmunternd wirken sollen.
Nach einem Augenblick der Unentschlossenheit hievte Lena sich vorsichtig aus dem Bett. Sie schob den Tropf vor sich her und hatte Mühe, die Beine anzuheben, während sie auf fast tauben Füßen ins Badezimmer stolperte. Nach Halt suchend, stützte sie sich am Waschbecken ab und betrachtete ihr Spiegelbild, das genauso elend aussah, wie sie sich fühlte. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen und konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich zuletzt so unendlich hilflos und leer gefühlt hatte.
Wie von selbst drehte ihre Hand den Hahn auf. Lenas Puls begann zu rasen, als sie sich unter dem brühend heißen Wasser wie besessen die Hände schrubbte. Immer und immer wieder, bis ihre Finger dunkelrot angelaufen waren. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich endlich dazu durchrang, das Wasser wieder abzudrehen. Beruhige dich, verdammt! , ermahnte sie sich immer wieder und hielt den Blick weiter auf ihre Hände gesenkt, bis die Rötungen allmählich abgeklungen waren. Es tat gut, wenn der Schmerz nachließ. Der Tumor in ihrem Kopf hingegen würde sie fortan bis zu ihrem Lebensende begleiten. Herrgott, sie war noch zu jung, um zu sterben! Lena konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
Plötzlich klingelte ihr Handy, und sie horchte auf. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und verharrte regungslos am Waschbecken. Es kam nicht oft vor, dass sie das von sich behaupten konnte, doch sie widerstand dem Impuls, sofort zum Telefon zu eilen und den Anruf anzunehmen. Es klingelte noch eine Zeitlang weiter, ehe es verstummte. Augenblicke später ertönte jener Signalton, der ihr sagte, dass der Anrufer eine Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen hatte. Lena blickte der Frau im Spiegel fest in die Augen. Du kannst entweder hier stehen bleiben und dich für den Rest deines Lebens selbst bemitleiden, während da draußen vielleicht deinetwegen unschuldige Menschen sterben, oder aber du reißt dich verdammt noch mal zusammen und gehst jetzt da raus, um diesem Psychopathen die Stirn zu bieten und sein makaberes Spiel zu beenden!
Lena Peters entschied sich für Letzteres. Sie biss die Zähne zusammen und riss sich mit einem Ruck die Kanüle aus dem Arm. Mit weichen Knien verließ sie das Badezimmer, bewegte sich auf den Wandschrank zu und nahm ihre Handtasche heraus. Erleichtert stellte sie fest, dass ihre Dienstwaffe noch da war. Lena kramte ihr iPhone aus der Handtasche, und das Display zeigte sechs nicht angenommene Anrufe an. Sie hörte ihre Mailbox ab. Die Nachricht war von Wulf Belling.
Verdammt, Peters – wo stecken Sie denn? Er hat wieder zugeschlagen, und dieses Mal haben wir gleich zwei Opfer!
Mein Gott! Lena presste das iPhone ans Ohr und lauschte gebannt der Nachricht. Demnach schied Pater Sonnenberg endgültig als Verdächtiger aus, denn der saß in Untersuchungshaft und konnte es somit wohl kaum gewesen sein. Lena hatte von Anfang an Zweifel gehabt, dass diese grausamen Morde auf das Konto des Priesters gingen. Sonnenberg mochte ein skrupelloser Erpresser sein, doch zu einem Serienkiller hatte er schlichtweg nicht das Format. Wohl wissend, dass Belling den Priester nur zu gerne auf der Anklagebank gesehen hätte, war Lena dennoch erleichtert, dass sie sich noch immer auf ihre Intuition verlassen konnte.
Weniger plausibel erschien ihr hingegen die Tatsache, dass es sich bei den letzten Mordopfern um ein Ehepaar handelte. Zudem hatte der Killer nur einem der Opfer, und zwar der Frau, das Gesicht mit Säure verätzt und sie anschließend aus dem Fenster gestürzt. Den Mann hatte er nach Bellings Aussage mit einem Golfschläger erschlagen und in der Penthousewohnung liegen gelassen.
Lenas Augen verengten sich. Weshalb sollte der Killer von seinem Verhaltensmuster abweichen? Sie ließ die Hand mit dem Handy sinken und dachte angestrengt nach. Die einzig
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