Seelenriss: Thriller
plausible Erklärung konnte nur lauten: Der Killer musste bei der Tat gestört worden sein und im Affekt gehandelt haben. Fest stand, zum ersten Mal war für ihn etwas nicht so gelaufen wie geplant. Sieht ganz so aus, als sei er unvorsichtig geworden und beginnt, Fehler zu machen, dachte Lena und wollte ihr Handy gerade zurück in die Tasche fallen lassen, da entdeckte sie eine ungelesene SMS . Lena blickte mit gerunzelter Stirn auf das Display.
Die Nachricht war von Lucy. Wahrscheinlich ist sie längst darüber unterrichtet worden, dass ich nicht mehr im Team bin , ging es Lena durch den Kopf, und sie war sich nicht sicher, ob sie noch auf Lucy zählen konnte. Sie konnte. Lena überflog die SMS und erschauderte. Ihre Vermutung, die Opfer seien am Tag des Brands alle mit der U-Bahn unterwegs gewesen, hatte sich tatsächlich bewahrheitet. Mehr noch: Alle Opfer waren mit der Linie U6 gefahren. Lena hielt den Atem an. Großer Gott, vermutlich waren sie alle bei dem Brand dabei gewesen! Hastig rief sie mit ihrem Smartphone sämtliche Informationen über den tragischen Vorfall ab, der Medienberichten zufolge durch einen brennenden Verteilerkasten im Gleisbereich ausgelöst worden war. Lena recherchierte weiter, und während der Akku ihres iPhones immer schwächer wurde, stieß sie in einem erst kürzlich erschienenem Nachtrag einer Lokalzeitung darauf, dass zwar alle Fahrgäste rechtzeitig aus dem brennenden Waggon fliehen konnten, eine junge Frau jedoch mit einer Rauchvergiftung ins Wenckebach-Klinikum eingeliefert worden und einige Zeit später an den Folgen verstorben war.
Lena beschloss, der Sache nachzugehen. Sie rief im Wenckebach-Klinikum an und fand heraus, dass es sich bei der Verstorbenen um eine gewisse Nadine Harding aus Wilmersdorf handelte. Augenblicke später hatte Lena die Frau gegoogelt. Ihr Name tauchte in Fachzeitschriften und auf den Websites verschiedener Forschungsinstitute auf. Das Batterie-Symbol von Lenas Handy leuchtete bereits rot auf, als sie einem Porträt in The Journal of Chemistry and Biology entnahm, dass Nadine Harding verheiratet gewesen war.
Lena dachte einen Moment darüber nach und entschied, ihrem Witwer einen Besuch abzustatten. Noch immer etwas schwach auf den Beinen, zog sie sich an und verließ das Krankenzimmer. Nach einem prüfenden Blick über den Korridor huschte sie zu den Aufzügen. Der Linoleumboden quietschte unter ihren Turnschuhen. Momente später verließ sie die Charité. Draußen dämmerte es bereits. Lena lief zur Straße und winkte ein Taxi heran. »Nach Wilmersdorf, bitte«, sagte sie dem Fahrer, kaum dass sie eingestiegen war. »So schnell wie möglich.«
44
Am selben Abend in Friedenau …
»Gratuliere, du hast es wieder einmal geschafft, mich maßlos zu enttäuschen – von der Blamage vor den Kollegen vom Drogendezernat ganz zu schweigen! Du kannst von Glück reden, dass die noch mal Gnade vor Recht haben ergehen lassen.« Bellings Stimme hallte lautstark durch die Küche, als er seine Tochter, die in durchlöcherter Jeansjacke und kurzem Rock vor ihm stand, zur Rechenschaft zog.
»Ja, ja – du und deine Kollegen …!« Trotzig schob Marietta das Kinn vor und wackelte mit dem Kopf. »Und, was willst du jetzt machen? Willst du mir vielleicht Handschellen anlegen?«
»Wenn es sein muss«, blaffte er wütend zurück, »solange du noch keine achtzehn bist, wird gemacht, was ich sage. Und nur damit das klar ist: Dieser Mikey kommt mir nicht mehr ins Haus! Und wenn ich noch ein Mal sehen sollte, dass …«
»Keine Sorge, ich habe mich sowieso von Mikey getrennt«, fiel ihm Marietta ins Wort und stellte mit einem genervten Seufzer ihre Dose Cola zurück in den Kühlschrank. »Falls es dich beruhigt, er hat ’ne andere.«
Erstaunt musterte Belling seine Tochter, und sein Rücken straffte sich. »Wieso hast du mir das nicht erzählt?«
»Ach, komm schon, Papa – du interessierst dich doch ’n Scheiß für mich! Genau wie für Mama!«
»Jetta, du weißt, dass das nicht stimmt!«
»Nenn mich nicht Jetta!«, keifte sie und schlug seine ausgestreckte Hand weg. »Guck dich doch an – kriegst doch selbst nichts auf die Reihe, und ausgerechnet du willst mir Vorschriften machen!«
Belling schnappte nach Luft, da klingelte sein Handy auf dem Küchentisch. Auf dem Display leuchtete der Name Lena Peters. Marietta, die seinem Blick zum Telefon gefolgt war, schüttelte gekränkt den Kopf. »Ts, ist ja wieder typisch!« Ihre schwarz umrandeten Augen funkelten ihn
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