Seelensplitter - Marionette des Schicksals (German Edition)
Buchstaben. Synonym
für „sich gedulden“ oder „ausharren“.“
Die Tür hinter Melica
wurde aufgerissen und Isak glitt auf die Rückbank. „Zane?
Du bist ein schrecklicher Klugscheißer“, erklärte
er, schaffte es jedoch, seine Stimme nicht anklagend klingen zu
lassen. „Außerdem hättest du wirklich noch warten
müssen. Klara hatte keine Chance, euch einzuholen.“
„ Aus diesem Grund
habe ich mich doch beeilt“, gab Zane ungerührt zurück.
Melica grinste verstohlen
und auch Isak musste sich anstrengen, um sich seine Belustigung nicht
anmerken zu lassen. „Wenn Klara nicht auch auf der Jacht
bleiben könnte, würde ich dich jetzt zwingen, umzudrehen.“
„ Wie kommst du auf
die absurde Idee, ausgerechnet du könntest mich zu irgendetwas
zwingen?“
„ Weißt du
überhaupt, wo wir hinfahren wollen?“, gab Isak
interessiert zurück.
„ Nein. Aber ich
wüsste auch nicht, was dagegen sprechen sollte, einfach die
Insel zu erkunden. Ich muss schließlich keinen Auftrag
ausführen.“
Isak stieß ein
lautes Schnauben aus. Dann begann er, Zane mit gelassener Stimme zu
Ruths Haus zu lotsen.
Eigentlich war es ja eine
Lüge, wenn man Ruths Unterkunft als „Haus“
bezeichnete. Eigentlich lebte Ruth in etwas, das aussah wie eine
ramponierte Hütte. Eigentlich sah Ruths Unterkunft genauso aus
wie es die Festung ihres Großvaters vor vielen Jahren getan
hatte.
„ Ich hatte deine
Aussage so interpretiert, dass du wüsstest, wo ihr hinwollt“,
bemerkte Zane mit würdevoll gehobener Augenbraue.
„ Das weiß ich
auch. Wir sind hier absolut richtig“, entgegnete Isak und stieg
beschwingt aus dem Wagen.
„ Und wie genau
lautet euer Auftrag? Wurde euch die ehrenvolle Aufgabe zuteil, dieses
Wrack endgültig dem Erdboden gleichzumachen?“
Isak antwortete nicht. Er
ging zu Melicas Tür, öffnete.
Melica verließ das
Auto mit einem leichten Lächeln. Geschlagen tat es Zane ihr
gleich – nun ja, zumindest verließ er das Auto. Die Sache
mit dem Lächeln musste er noch üben.
Melica machte den ersten
Schritt auf die zerfallene Hütte zu, doch Isak packte sie
plötzlich sanft am Oberarm. „Du musst noch etwas erfahren,
bevor du das Haus betrittst“, begann er und blickte sie mit
einer Gelassenheit an, die gar nichts anderes sein konnte als
gespielt. „Selena, sie…sie ist ein wenig verrückt.“
„ Das ist Tizian
ebenfalls und vor dem hat mich auch niemand gewarnt“, wiegelte
Melica achselzuckend ab.
Isak verstärkte den
Druck auf ihren Arm leicht. „Selena ist anders. Wäre es
nicht respektlos, würde ich sagen, sie hat völlig den
Verstand verloren“, sagte Isak eindringlich. „Seit sie
zum Beispiel diese Bücher über die Glitzervampire gelesen
hat, hält sie sich selbst für einen. Wundere dich also
bitte nicht, wenn sie mit einem langen schwarzen Mantel durch das
Haus rennt und „Nosferatu!“ brüllt. Und falls du
dich doch wunderst, versuch‘, es dir nicht anmerken zu lassen.“
Melica schwieg für
einen Moment. „Muss ich da wirklich rein?“, fragte sie
schließlich.
„ Gestern Nacht hatte
ich den Eindruck, du wüsstest, warum du es tun musst.“
Das war ja klar. Isak
wusste, dass sie nun gar keine andere Wahl mehr hatte, als auf die
Hütte und damit auch auf ihr Schicksal zuzugehen. Nervös
fuhr sie sich durchs Haar, seufzte. Mit dem nicht gerade
aufmunternden Gedanken, dass sie dies nicht für sich selbst,
sondern für die ganze Welt tat, ging sie zu einer Tür und
klopfte leise.
„ Sie ist ein Mensch,
Melica“, erinnerte Isak sie, der mit einem Mal direkt hinter
ihr stand. „Im Gegensatz zu uns wird sie dein Klopfen wohl kaum
hören können.“
Also versuchte es Melica
schweren Herzens erneut, lauter diesmal, energischer. Sie musste
nicht lange warten. Melica hatte ihre Hand gerade erst zurückgezogen,
da wurde die Tür auch schon stürmisch aufgerissen.
Und Melicas Mund wurde
ganz trocken, als sie in die ozeanblauen Augen einer jungen Frau
blickte. Warum hatte ihr denn niemand gesagt, dass Ruth eine Tochter
hatte?
Die junge Frau musterte
sie nicht weniger verdutzt. Und dann, mit einem Mal, öffnete sie
den Mund und begann zu schreien.
Melica war entsetzt.
Völlig überfordert stammelte sie: „Ich… ich
wollte dich nicht, ich meine…ich…ich tu‘ dir doch
nichts!“
„ Selena! Wie oft
muss ich dir noch sagen, dass du nicht einfach die Tür öffnen
sollst?“, schallte plötzlich eine rasselnde Stimme aus dem
Inneren des Hauses.
Selena? Dieses
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