Seelensplitter: Thriller (German Edition)
›Vicky‹ und ›Ausflug‹ machen?«
Stefanie hört auf zu putzen und strahlt Lina plötzlich an.
»Klar, Vicky Cristina Barcelona! Das liegt doch auf der Hand.«
»Und was soll das heißen?«
»Du solltest hin und wieder mal deine Polizeiwelt verlassen und am richtigen Leben teilnehmen«, sagt Stefanie. »Das ist ein Film von Woody Allen. Ich habe ihn mit ein paar Frauen aus der Gruppe zusammen im Kino gesehen.«
»Bisschen weit hergeholt«, erwidert Lina.
Stefanie macht plötzlich ein nachdenkliches Gesicht. »Kann natürlich Zufall sein, aber im Kino saß Astrid neben mir.«
Lina sieht sie ungläubig an.
»Ja. Isabel war dabei, Pia, Christina und Carolin.«
Nachdem Lina Stefanie versprochen hat, sie auf dem Laufenden zu halten, verlässt sie die Rösterei und geht direkt zur U-Bahn-Station.
Jetzt am frühen Abend strömen die jungen Leute geradezu auf die Meile. Überall bilden sich Pulks von erwartungsfrohen Jugendlichen, die unterwegs sind in die Bars, Clubs und Restaurants. Ein Abend, von dem keiner weiß, wie er ausgeht.
Stefanie konnte sich im Zusammenhang mit dem Kinoabend an nichts Besonderes erinnern. Sie hätten danach in einem Restaurant gegessen, Stefanie wusste noch, dass auf der Speisekarte ausschließlich Kartoffelgerichte standen, dass sie eine gebackene Kartoffel mit Sour Cream gegessen hatte, dass es weder Streit noch intensive Gespräche gab und schon gar keinen Abstecher in ein Striplokal.
Sicher ist, dass Astrid ihr mit »Vicky und Ausflug« etwas Wichtiges mitteilen wollte. Ihr Mörder oder ihre Mörderin sollte diese Mitteilung nicht verstehen.
In der Therapie waren diese beiden Wörter jedenfalls nie erwähnt worden.
Lina spürt wieder ein leichtes Brennen im Rücken, das mit dem Gefühl einhergeht, beobachtet zu werden. Sie bleibt abrupt vor einem Ticketshop stehen, mustert die Plakate und wirft so unauffällig wie möglich einen Blick zurück. Was auch immer die Frau etwa zehn Meter von ihr entfernt sonst draufhaben mag – eine diskrete Verfolgerin ist sie nicht. Lina entdeckt sie und erkennt sofort, wer sie ist, obwohl sie mit einem Handy in der Hand vor einem Schaufenster steht. Kein Zweifel: Es ist Antje Kernel, die Frau, die angeblich ebenfalls eine Tochter von Irene Heise sein soll.
23
W arum ausgerechnet hier?«, fragt Che Ling.
Sie sitzen auf Bänken vor einem Wassergraben, hinter dem sich das Gehege der Orang-Utans befindet. Einer der Menschenaffen schaukelt gemütlich in einer Hängematte zwischen zwei Bäumen.
»Hier erkennt man Verfolger leichter«, sagt Lina. »Außerdem …«
»Jetzt bin ich gespannt.«
»… fühle ich mich wohl hier. Den Orang-Utans geht es gut. Sie spielen, necken sich, manchmal prügeln sie sich, ohne einander je ernsthaft zu verletzten.«
»Es geht ihnen gut«, äfft Che sie nach. »Das hier ist ein Zoo. Für die Tiere ist es der Knast.«
»Ich sehe ihnen gerne zu«, sagt Lina.
»Tja«, erwidert Che und verdreht die Augen. »Vielleicht hätte Emmert dich ein paar Tage in U-Haft nehmen sollen. Der netteste Mensch dort ist der Pfarrer. Der steckt dir gleich zur Begrüßung einen Koffer zu. Allerdings musst du sagen, dass du katholisch bist.«
»Einen Koffer?«
»Ein Päckchen Tabak. Du könntest dich da noch nicht mal verständlich machen. Also, was ist jetzt mit der Frau, die dich beschattet hat?«
»Antje Kernel.«
»Und?«
»Sobald sie wieder auftaucht, werde ich sie fragen, warum sie mir folgt.«
»Und kommt sie infrage? Ich meine als Täterin?«
»Ich sehe da keine Beziehung zu Carolin oder Astrid.«
»Aber es gibt eine Beziehung zu dir«, sagt Che. »Ihr wurdet in irgendwelchen Akten als Halbschwestern geführt. Und diese Akten hat Astrid offenbar gelesen.«
»Aber was kann Kernel von mir wollen? Sie glaubt den Geschichten von Irene Heise ja genauso wenig wie ich. Ich brauche etwas, um sie festzunageln. Noch ist sie nicht wieder aufgetaucht. Was, wenn sie behauptet, sie wäre rein zufällig im Schanzenviertel gewesen?«
»Manchmal wundere ich mich, dass du so ruhig bleiben kannst«, sagt Che. »Immerhin wurde ein Anschlag auf dich verübt.«
»Ist nur Fassade«, erwidert Lina. »Ich kann nicht mehr richtig essen und nicht schlafen. Aber ich will noch nicht sterben, nicht jetzt und schon gar nicht, ohne zu wissen, warum.«
»Klingt pathetisch«, sagt Che.
»Ich fasse es noch einmal zusammen. Vor anderthalb Jahren habe ich an einer Gruppentherapie teilgenommen, weil ich aus einer beschissenen Beziehung mit einem
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