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Seelensunde

Seelensunde

Titel: Seelensunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silver Eve
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zum Tempel.“ Das Bild des barmherzigen Samariters war mit einem Schlag ausgelöscht. Alastor wirkte kalt wie Eis.
    „Nein!“, rief Marie entsetzt. Mit einem Ruck hatte sie sich aufgerichtet und saß jetzt kerzengerade auf der Couch. „Hochwürden Kusnetzov hat etwas in meinen Wein getan. Ich habe es gemerkt, weil mir mit einem Mal so komisch geworden ist. Ich habe noch gedacht, er macht das, um mich …“ Sie brach den Satz ab und schüttelte den Kopf. „Aber das ergab keinen Sinn, denn ich habe mich ohnehin zu ihm hingezogen gefühlt.“
    Naphré konnte das in Anbetracht dessen nachvollziehen, dass Kusnetzov gut und gerne zwanzig Jahre älter war als das Mädchen. Er hatte sich gut gehalten, war durchtrainiert undhatte keine einzige Falte auf der Stirn. Mit einem Wort: Er war ein attraktiver Mann, das, was man eine stattliche Erscheinung nennt. Aber da war etwas an ihm gewesen, das Naphré abgestoßen hatte. Aus dem Grund hatte sie ihn nach ihrem gemeinsamen Lunch kein zweites Mal getroffen.
    „Er hätte es doch gar nicht nötig gehabt, mich zu betäuben“, fuhr Marie fort. „Ich hätte auch so mit ihm … geschlafen. Und ich denke, das wusste er auch.“
    „Was sollte das also?“
    „Ich weiß es doch nicht.“
    Alastor warf ihr einen warnenden Blick zu.
    Schnell fügte sie hinzu: „Jedenfalls bin ich mir nicht sicher. Möglicherweise geschah es, weil ich etwas gesehen habe. Das war vor ein paar Wochen. Ich hatte meine Handtasche im Tempel vergessen und bin zurückgegangen, um sie zu holen. Aber die Türen waren verschlossen. Auf mein Klingeln hat niemand reagiert. Es erschien nicht einmal ein Wachmann. Ich wollte schon wieder gehen, da ist mir eingefallen, dass ich es noch am Hintereingang versuchen könnte. Dort bin ich dann auf Pyotr und eine Gruppe von Männern gestoßen, die ich nicht kenne. Zur Gemeinde gehörten sie nicht. Einer von ihnen ist mir dabei besonders aufgefallen. Irgendwie war er … anders.“ Sie blickte zu Alastor. „Sie erinnern mich übrigens an ihn. Das blonde Haar, diese eigenartige Ausstrahlung, eine gewisse Energie – wie elektrische Spannung.“
    Die Worte ließen Naphré aufhorchen. Gewöhnliche Sterbliche hatten keine Antenne für eine übernatürliche Ausstrahlung. Wenn Marie so etwas bemerkt hatte, war sie keine. Aufmerksam studierte sie die junge Frau. Trug sie auf ihrem Körper das dunkle Mal der Isistöchter, das Ankh mit den zwei Flügeln und Hörnern? Oder ging Naphré in ihren Vermutungen zu weit? Sie hatte das sichere Gefühl, dass sie es nicht tat.
    „Und weiter“, ermunterte Alastor Marie. Obwohl sie unversehens auf etwas gestoßen waren, blieb sein Ton ruhig und sachlich.
    „Da war noch ein kleines Mädchen, das auf den blonden Mann zugerannt ist und stürmisch seine Beine umarmt hat. Sie reichte ihm bis etwas über die Knie. Ich habe dem Mann ins Gesicht gesehen. Und da war etwas in seinen Zügen, dass ich denken musste …“ Marie unterbrach sich und war ein wenig verlegen. „Es klingt vielleicht albern, aber als ich sein Gesicht gesehen habe, ist mir durch den Kopf gegangen, dass er für die Kleine sein Leben geben würde.“
    Naphré spürte, wie Alastor eine enorme Anspannung meisterte, die ihn ergriffen hatte. Er ließ sich nicht das Geringste anmerken, sondern gab sich kühl und gelassen, beinahe unbeteiligt, obwohl das, was Marie zu berichten hatte, ihn ungeheuer aufzuwühlen schien. Sie bewunderte seine Selbstbeherrschung. Offenbar hatte er dasselbe Rezept, sie zu wahren, wie sie, indem sie versuchte, die eigenen Gefühle gewissermaßen einzufrieren und nichts an sich herankommen zu lassen.
    „Pyotr ist auch dabei gewesen“, berichtete Marie weiter. „Er hat mit den anderen Männern gesprochen. Als er mich bemerkt hat, hat er mich mit einem Blick angesehen, den ich nie vergessen werde. Es war furchtbar, und ich hatte plötzlich panische Angst. Aber dann hat er schon wieder gelächelt, und ich dachte, ich hätte mir das nur eingebildet. Er ist sogar mit mir in den Tempel gegangen und hat mir geholfen, meine Handtasche zu suchen. Dann hat er mich fortgeschickt, nachdem wir sie gefunden hatten. Von diesem Abend an ist er ausgesprochen freundlich zu mir gewesen.“
    Marie blickte unsicher von Alastor zu Naphré. „Ich habe wirklich geglaubt, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Später habe ich dann diesen Typen an der Bar getroffen.“ Wieder zeigte sie auf Alastor. „Der hatte merkwürdigerweise auch Ähnlichkeit mit Ihnen, aber ganz

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