Seelenzorn
wirklich sicher sein, weil, für milde Gaben hab ich nichts übrig, und danach lass ich dich auch nich mehr gehen, klar? Einmal ... einmal reicht mir nicht, klar?«
Ihr liefen schon wieder die Tränen. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt machen sollte, absolut keine Ahnung. Jeder Satz, der ihr in den Sinn kam, hörte sich falsch an, jede Geste kam ihr überstürzt vor, und was sie dabei empfand - abgesehen von dem Pulsieren unterhalb der Gürtellinie und dem seltsam leichten Gefühl in der Magengrube - war eine Regung, die so vertraut war, dass sie sie unmöglich falsch verstehen konnte: Angst.
Er jagte ihr eine Heidenangst ein.
Er jagte ihr Angst ein, weil sie in dem Moment, als sie ihn geküsst hatte, als sie ihn so derart schnell so derart verzweifelt begehrt hatte, immer noch sie selbst gewesen war. Sie hatte nicht den Kontakt zu sich verloren. War nicht darauf aus gewesen, ihn zu benutzen wie eine Maschine, die darauf programmiert war, ihr Orgasmen zu verschaffen, nur damit sie für ein paar kurze Augenblicke vergessen konnte, wer sie war. Ihr war äußerst bewusst gewesen, dass sie Terrible küsste, dass sie seinen Körper an ihrem spürte, seine Hände auf ihren Hüften und dass es seine Lippen waren, die ihr Blut in Wallung brachten.
Sie war mit ihrem ganzen Bewusstsein dabei gewesen. Sie hatte ihn gewollt, sie selbst, Chess, nicht bloß ihr Körper. Dieses Verlangen, dieser wahnsinnige, intensive Drang ... das war nicht nur etwas Körperliches gewesen. Was sollte das heißen?
Sie hörte, wie er hinter ihr seine Zigarette rauchte und sich ein neues Bier aufmachte. Und wartete. Geschmolzener Schnee mischte sich mit den Tränen auf ihrem Gesicht und befeuchtete ihr das Haar. Vielleicht war das das Problem. Vielleicht war sie festgefroren und konnte sich deshalb nicht bewegen.
»Na ja«, sagte er. »Na ja. Jetzt weißt du's.«
Warum wollten sich ihre Füße nicht bewegen? Wovor hatte sie denn bloß solche Angst? Sie wollte zu ihm gehen, sah es genau vor sich, wie sie zu ihm ging, wie er sie in ihre Wohnung trug und mit ihr zu dem Bett ging, in das sie nicht einmal Lex gelassen hatte. Sie stellte sich wieder seine nackte Brust vor und wie ihre Finger darüberstrichen, über den Bauch und weiter nach unten.
Die Bilderflut wollte nicht aufhören. Sie sah seinen Mund auf ihren Brüsten, seine Hand zwischen ihren Beinen, und ihr ganzer Körper zog sich so heftig zusammen, dass sie meinte, sie würde gleich umkippen. Oh, sie wollte ihn. Wollte ihn schon seit Monaten, wahrscheinlich genau so heftig, wie er sie wollte. Sie konnte es nicht länger abstreiten.
Aber sie konnte einfach nicht ... zu ihm gehen. Ihre Füße weigerten sich ganz einfach, sich zu bewegen. Als wüssten sie, was sie für ein Mensch war, und wollten sie bestrafen, indem sie ihre Befehle einfach überhörten. Ihr Mund weigerte sich, auch nur dieses eine, winzige Wörtchen zu sagen, das alles war, was er hören musste. Ihr Körper rächte sich an ihr und suchte sich dafür den denkbar schlechtesten Moment aus.
Hinter ihr klirrte Glas auf Glas. Terrible hustete und schniefte leise. »Schätze mal, ich bin jetzt durch mit Reden, wenn’s dir sowieso egal ist.« Stille. »Nacht, Chess.«
Sie blieb draußen und sah in den Schnee, bis sich das Motorgeräusch der Chevelle in der Ferne verlor. Er war fort, und sie stand ganz alleine auf dem Dach, allein und ausgestoßen aus der Stadt, die so friedlich dalag unter ihrer schützenden Schneedecke.
Die Häuser ringsherum waren voller Menschen, voller Leben. Drinnen schmiegten sich Liebende aneinander und wärmten sich, Familien lachten, stritten oder was immer Familien zusammen machten. Und sie stand hier oben, unsichtbar. Festgefroren.
Allein. Und zum ersten Mal in ihrem Leben ... fühlte sich das Alleinsein nicht besonders gut an.
Und das war das Erschreckendste von allem.
20
Sie stehen für die Wahrheit. Sie sind die Wahrheit.
Vor allem anderen sollte dies Ihr höchstes Ziel sein.
Kirchenangestellte lügen nicht. Sie belügen sich
nicht einmal selbst.
Mit gutem Beispiel vorangehen!
Ein Leitfaden für Kirchenangestellte
Am nächsten Morgen erwachte sie in Lex’ Wohnung mit gewaltigen Kopfschmerzen von einem Oozer-Traum und konnte sich kaum erinnern, wie sie hierhergekommen war.
Sie setzte sich auf, streifte die schwere Decke ab und ließ sich dann zurückfallen, als die Erinnerung dröhnend in ihren Kopf zurückkehrte. Und in die Brust. Und in den Magen.
Terrible. Seine Hände auf
Weitere Kostenlose Bücher