Segeln im Sonnenwind
anschließend. Ich rannte nach Hause und stellte fest, daß Mutter schon Bescheid wußte. Wir weinten eine Weile zusammen, während um uns herum Beth und Lucille lärmten. Anschließend begannen Mutter und ich einen kompletten, gar nicht jahreszeitgemäßen Frühjahrsputz, damit alles bereit war, wenn Vater und Tom (Und auch Mr. Smith? Diese Frage äußerte ich allerdings nicht!) irgendwann nächste Woche eintrafen. Frank erhielt die Anweisung, den Rasen zu mähen und sich auch um alles andere zu kümmern, was rings um das Haus erledigt werden mußte – so nach der Devise: Stell keine Fragen, tue es einfach!
Der Gottesdienst am Sonntag war eine fröhliche Lobet-den-Herrn-Geschichte, bei der Reverend Timberly noch weitschweifiger und dümmer als üblich redete, was aber niemandem etwas ausmachte, mir am allerwenigsten.
Nach der Kirche sagte Mutter: »Maureen, gehst du morgen zur Schule?«
Ich hatte darüber noch gar nicht nachgedacht. Die The-bes-Schuldirektion hatte beschlossen, die High School auch über den Sommer offenzuhalten (zusätzlich zum üblichen Aufholunterricht für die Dummköpfe der Grammar School). Das war als patriotische Tat zu verstehen, damit die älteren Jungen die Schule schneller abschließen und sich zur Armee melden konnten. Ich hatte mich für die Sommerschule gemeldet, sowohl um meine Bildung zu ergänzen (da ich den Gedanken ans College aufgegeben hatte) als auch die schmerzliche Leere auszufüllen, die Vaters und Toms (und Mr. Smiths) Fortgang hinterlassen hatte.
(Ich habe den größten Teil meines Lebens auf Männer gewartet, die im Krieg waren. Und einige davon sind nicht zurückgekehrt.)
»Mutter, das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Glaubst du wirklich, daß morgen wie üblich Unterricht ist?«
»Das tue ich. Hast du gelernt?«
(Sie wußte genau, daß ich es nicht hatte. Man kann nicht besonders viele unregelmäßige griechische Verben lernen, während man auf den Knien kauert und den Küchenboden schrubbt.) »Nein, Ma'am.«
»Und? Was würde dein Vater von dir erwarten?«
Ich seufzte. »Ja, Ma'am.«
»Bemitleide dich nicht selbst. Die Sommerschule war deine Idee. Du solltest die Gelegenheit nicht versäumen, zusätzlich was zu lernen. Los jetzt! Das Abendessen mache ich heute allein.«
Sie kamen in dieser Woche nicht zurück.
Sie kamen nicht in der nächsten Woche zurück.
Sie kamen nicht in diesem Herbst zurück.
Sie kamen nicht in diesem Jahr zurück.
(Chucks Leiche wurde nach Hause gebracht. Der Veteranenverband organisierte den militärischen Salut, und ich nahm an meinem ersten Militärbegräbnis teil und weinte in einem fort. Ein Hornbläser mit weißen Haaren spielte für Charles: … sleep in peace, soldier brave, God is nigh.
Ich stand in meinem Leben nicht oft davor, gläubig zu werden, aber wenn, dann war es stets, wenn ich ›Taps‹ hörte. Das ist selbst heute noch so.)
Nach der Sommerschule 1898 stand ich im September vor der Frage, ob ich weiter zur Schule gehen sollte oder nicht, und wenn ich es tat, dann wo? Zu Hause wollte ich nicht bleiben, wo mir wenig mehr zu tun blieb, als Kindermädchen für George zu spielen. Da ich nicht auf die Columbia gehen konnte, wollte ich wenigstens die Butler-Akademie besuchen, eine Zwei-Jahres-Privatschule, die die Fächer der philosophischen Fakultät anbot und deren Abschluß sowohl an der Columbia als auch der Lawrence akzeptiert wurde. Mutter gegenüber wies ich darauf hin, daß ich an Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken gespart hatte sowie über »Kleingeld« verfügte (»Kleingeld« war das, was ich selbst verdient hatte, sei es mit dem Hüten von Nachbarskindern oder der Betreuung eines Standes auf dem Countyfest usw. – was allerdings ziemlich selten geschah). Insgesamt hätte ich also genug für das Schuldgeld und die Bücher.
»Wie kommst du hin und zurück?« fragte Mutter.
»Wie kommt Tom hin und zurück?« hielt ich ihr entgegen.
»Beantworte eine Frage nicht mit einer Gegenfrage, junge Dame! Wir wissen beide, wie dein Bruder es getan hat – mit dem Einspänner bei gutem Wetter, zu Pferde bei schlechtem. Beim allerschlimmsten Wetter blieb er ganz zu Hause. Dein Bruder ist jedoch ein erwachsener Mann. Erzähle mir, wie du es anstellen möchtest.«
Ich dachte darüber nach. Der Einspänner war kein Problem. Die Akademie verfügte über einen Stall für die Pferde. Zu Pferd? Ich konnte fast so gut reiten wie meine Brüder, aber Mädchen gehen nun mal nicht mit dem Overall in die Schule, und
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