Sehnsucht FC Bayern
Schalker Stadion dem Kenntnisstand der anderen Zuschauer im Stadion um einige Sekunden voraus war. Für mich eine spannende Erfahrung, bei den unerwarteten Gegentoren der Bremer mitzuerleben, wie der freudige Lärmpegel um mich herum nicht nur zeitverzögert, sondern stufenweise anschwoll. Smartphones haben das transportable Radio im Stadion weitestgehend abgelöst. Irgendwie kam es mir so vor, als ob der Jubel erst einige Zeit später einsetzte als früher bei vergleichbaren Meisterschaftsentscheidungen in den achtziger oder neunziger Jahren, als man der Bundesligakonferenz im Rundfunk zuhörte.
Man konnte also sehr entspannt zum Saisonfinale nach Berlin fahren. Die Meisterschaft fast so sicher in der Tasche, wie es nur irgendwie ging, galt es im Olympiastadion binnen einer Woche die Saison gleich mit zwei Titeln national zu krönen. Es wäre jedoch ratsamer gewesen, wenn ich in dieser Zeit auch im Straßenverkehr entspannter unterwegs gewesen wäre. Zum wiederholten Male geriet ich nämlich auf meinem wöchentlichen Weg zur Geschäftsstelle in eine mobile Radarfalle in der Säbener Straße. Eine verfluchte Tempo-30-Zone, die mir schon einige Fotos beschert hatte. Ich warte ja noch darauf, dass auf einem der Fotos irgendwann die Geschäftsstelle mit Bayern-Logo im Hintergrund zu sehen sein wird. Dieses Foto lasse ich dann einrahmen.
Der einwöchige Berlin-Aufenthalt war vor Saisonbeginn so natürlich nicht geplant und ergab sich erst durch die erneute Teilnahme am DFB-Pokalendspiel. Nachdem es zwischen 1986 und 1998 eine lange Durststrecke gegeben hatte, war es nunmehr der neunte Finaleinzug in 13 Jahren. Wenn ich mir überlege, welchen Hype und welche Aufregung es innerhalb der Fanszene seinerzeit gab, um an Endspielkarten 1998 zu gelangen, so dürfte mittlerweile jeder Bayern-Fan mehr als einmal in den Genuss eines Pokalendspiels gekommen sein. Und dennoch: Es ist immer wieder schön und lohnenswert.
Da wir wenig Lust hatten, innerhalb einer Woche zweimal nach Berlin zu reisen, geriet der Aufenthalt zum politisch geprägten Kurzurlaub. Eine Woche Urlaub in Berlin? Ja, das geht. Endlich schaffte ich es, auch die restlichen mir noch unbekannten Stätten der jüngeren deutschen Geschichte zu besuchen: KZ Oranienburg, Deutsch-Russisches Museum Karlshorst, KGB-Gefängnis Potsdam, Deutsches Historisches Museum, Alliierten-Museum, Reichstag, Stasi-Hauptverwaltung Normannenstraße, DDR-Museum, Gedenkstätte Wannseekonferenz und Mauer-Gedenkstätte Bernauer Straße. Nach so vielen Schreckensorten war es nicht verwunderlich, dass die Geduld von Stefanie ein Ende hatte und sie sich einem Besuch der Nazi-Hinrichtungsstätte Plötzensee verweigerte.
Wenigstens endete die Woche mit einer erfreulichen Erfahrung: Ein letztlich fulminanter Sieg über Endspiel-Dauergegner Werder Bremen festigte die Position des Rekord-Pokalsiegers und hielt den Zweitplatzierten Bremen (sechs Titel) noch weiter auf Distanz. Ich ließ den Ort des neuerlichen Triumphes mit einem Gefühl hinter mir, als ob man ein Sterne-Restaurant nach einem fantastischen Menü verlässt: satt, genießend, in sich ruhend und nach sieben Endspiel-Siegen auch etwas routiniert. Kann man es da Fans anderer Vereine verübeln, wenn sie uns bestenfalls attestieren, wir würden uns nur »innerlich freuen«? Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es jedem anderen Fan in vergleichbarer Situation ähnlich gehen würde. Wenn der Hamburger SV UEFA-Cup-Plätze erreicht oder Arminia Bielfeld irgendwann zum achten Male in die 1. Bundesliga aufsteigt, dann bricht an der Elbe oder in Ostwestfalen auch keine Ekstase mehr aus. Und das liegt dann mit Sicherheit nicht an hanseatischer Zurückhaltung oder westfälischer Mentalität. Persönlich habe ich nur ein Problem mit den Bayern-Fans, die anfangen, solche Titel geringschätzig zu betrachten oder als Selbstverständlichkeit hinzunehmen. Da ist der Zug in Richtung »Arroganz« bereits abgefahren. Ich wiederhole an dieses Stelle mein Mantra: Feiere jeden Titelgewinn, als wäre er der letzte!
Wenige Tage später konnte die Reisetasche erneut gepackt werden. Auf nach Madrid! Nachdem die Stadt durch die Bayern-Spiele gegen Real und Getafe unter Tourismus-Gesichtspunkten bereits abgearbeitet war, verlief dieser Trip relativ entspannt. Museumsbesuche beschränkten sich lediglich auf eine Stippvisite im Vereinsmuseum von Atlético Madrid im Bauch des Stadions »Vicente Calderón«. Erst wenige Stunden vor dem Anpfiff traf ich mich wieder
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