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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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weiß es genau. Einige sprechen von über hundert Toten, andere berichten von der fünffachen Anzahl.«
    »Das ist furchtbar. Das ist schrecklich. Die Wilden werden außer Rand und Band geraten!« Cäcilie griff nach der Klingel und läutete.
    Kurz darauf erschien die Hofmeisterin Ilme. »Was wünscht die gnädige Frau?«, fragte sie und musste dabei ein Gähnen unterdrücken.
    »Hast du von den Aufständen gehört?«, verlangte Cäcilie zu wissen.
    »Ja, gnädige Frau. Niemand spricht von etwas anderem.«
    »Aha. Also ist das Gesinde auch schon mit diesen unsinnigen Gedanken infiziert?« Cäcilies Stimme klang hoch und schrill. »Was wollt ihr? Na los, sag es schon. Was willst du, Ilme? Meinen Schmuck? Meine Kleider? Oder hast du es auch auf unser Haus und die Kutsche abgesehen?«
    Die Hofmeisterin wich zurück und warf hilfesuchende Blicke auf Wolfgang von Zehlendorf.
    »Beruhige dich doch, Zilchen. Uns geschieht nichts. Pssst.« Er stand auf und holte das Fläschchen mit dem Laudanum, gab zwanzig Tropfen auf einen Löffel und reichte ihn seiner Frau.
    Cäcilie schluckte, schüttelte sich, dann zeigte sie mit dem Finger auf Ilme. »Jetzt weiß ich, was ihr plant. Jetzt habe ich euch Gesindel durchschaut. Ihr wollte es machen wie die in St. Petersburg. Unser Leben wollt ihr, euch in unseren Kissen wälzen, von silbernen Löffeln wollt ihr essen. Meine Tochter eine Mörderin! Meine Dienstboten heimtückische Verbrecher!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht, heulte laut auf und zitterte am ganzen Körper.
    »Schluss jetzt!« Wolfgang von Zehlendorf schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Es ist gut, Cäcilie. Es gibt keinen Grund für uns, Misstrauen gegen Ilme und die anderen Angestellten zu hegen. Sie haben uns immer treu gedient. Ich denke, du solltest dich jetzt wieder hinlegen, der Abend war anstrengend genug für dich.«
    Er schickte Ilme mit einer Handbewegung weg, dann kümmerte er sich um sein Frau und brachte sie zu Bett. Er half ihr beim Auskleiden, löste ihr das Haar und striegelte es behutsam mit einer Bürste, doch Cäcilie weinte noch immer. »Ach, meine Liebste, ich kann es nicht ertragen, wenn du weinst. So beruhige dich doch.«
    »Wie soll ich mich beruhigen, wenn ringsum die ganze Welt in Scherben fällt?« Cäcilie von Zehlendorf sah ihren Mann mit verschwollenen Augen an. »Was hast du für Vorkehrungen getroffen? Wie willst du für unsere Sicherheit sorgen? Ich habe Angst! Begreife das doch endlich.«
    Der Freiherr seufzte. »Ich weiß, meine Liebe, ich weiß. Seit Jahren leidest du unter den verschiedensten Ängsten. Und glaube mir, ich werde alles tun, um dich in Sicherheit zu wissen. Mach dir keine Sorgen, ich habe bereits Anweisungen erteilt. Der Verwalter und der Förster gehen nicht mehr ohne Waffen aus dem Haus. Selbst Will hat einen Vorderlader unter seinem Kutschbock liegen. Es wird dir nichts geschehen. Und was unsere Leute angeht: Sie sind bestimmt nicht gefährlich.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, erwiderte Cäcilie und maß ihren Mann mit einem verächtlichen Blick. »Ich bin müde. Hör auf mit der Bürsterei. Ich muss schlafen.«
    Sie nahm ihm die Bürste aus der Hand und warf sie auf die Frisierkommode. Dann legte sie ihren Morgenmantel ab, stieg ohne ein Wort in ihr Bett, drehte sich zur Seite und schloss die Augen.
    Am nächsten Morgen gingen Ruppert und Malu wie gewohnt zu Pfarrer Mohrmann ins evangelische Pfarrhaus, um mit dessen beiden Kindern Johann und Constanze gemeinsam unterrichtet zu werden. Für die beiden Jungen hatte vor knapp einem Jahrzehnt der Privatunterricht begonnen, und zwei Jahre später waren Malu und Constanze hinzugekommen. Ruppert und Johann würden in Riga ihr Abitur ablegen und die Mädchen dort einen Abschluss machen, der sie dazu befähigte, Hauslehrerin, Krankenpflegerin oder Gouvernante zu werden oder die Buchhaltung und die Hauswirtschaft eines Gutes zu führen. Auf jeden Fall aber hatten die Mädchen die Grundlagen für alle Anforderungen erhalten, die eine Ehe an sie stellen würde.
    Malu hatte immer gern gelernt. Die Stunden außerhalb des Herrenhauses schienen ihr wie ein Ausflug in die Freiheit. In den ersten Jahren wurde sie neben dem Ehepaar Mohrmann von einem jungen Hauslehrer names Voigt unterrichtet. Voigt war ein leidenschaftlicher Naturwissenschaftler, und seine Begeisterung griff auf Malu über, während sie Ruppert nicht einmal als leiser Hauch streifte.
    Malu war sieben Jahre alt, als sie durch Voigt erfuhr, dass ihr Körper

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