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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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schob sie die Unterlippe nach vorn und schwieg für die nächsten Stunden.
    Malu dagegen entschied sich für ein Sommerkleid. »Es muss bequem sein«, betonte sie. »Rüschen und Stickereien brauche ich nicht. Ich möchte mich darin bewegen können, möchte laufen und rennen können, ohne dass mich der Stoff dabei behindert.« Sie überlegte einen Augenblick. »Aber natürlich muss es auch so sein, dass niemand Anstoß daran nehmen kann. Ich glaube, ich werde mir ein hellgrünes Kleid machen, wie es die alten Griechinnen getragen haben. Natürlich mit bedeckten Schultern, aber unterhalb der Brust soll es weich nach unten fallen, ohne dass es irgendwo einschnürt.«
    »Gut!« Frau Mohrmann nickte ihr zu. »Dann werden wir demnächst einmal alle drei nach Mitau fahren, damit ich euch zeigen kann, wie man Stoffe auswählt.«
    Zwei Wochen später war es so weit. Malu hatte ihren Vater überreden können, ihnen die Kutsche samt Will, dem Kutscher, zu überlassen. Die ganze Fahrt über verspürte Malu Herzklopfen. Ob es dasselbe Herzklopfen war wie das, von dem die Mägde immer sagten, dass sie es verspürten, wenn sie von einem Knecht ins Heu geworfen wurden?
    Später im Stoffgeschäft wich Malu nicht von Frau Mohrmanns Seite, während Constanze sich zunächst alleine umschaute. Sie interessierte sich mehr für die Knöpfe, Borten, Gürtel und Schleifen als für die Unterweisungen ihrer Mutter.
    »Du musst den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen«, sagte Frau Mohrmann zu Malu. »Und ihn dann reiben. Wenn er knittert, so lege ihn zurück. Fällt er danach wieder glatt, kannst du ihn getrost kaufen. Bei Seide allerdings musst du dem Stoff lauschen. Knistert der Stoff leise wie beim ersten Schneefall, dann ist die Qualität gut, und du kannst die Seide nehmen. Brokat dagegen musst du dir über den Arm legen und dir anschauen, wie der Stoff fällt. Ach ja, und bei Leinen solltest du besonders aufpassen. Sieh genau hin, ob das Webmuster gleichmäßig ist. Entdeckst du winzige Knötchen, so lass den Stoff liegen und gib lieber einen Rubel mehr aus für eine bessere Qualität.«
    Malu hatte vor Aufregung rote Wangen bekommen. Von ihrem Vater war sie reichlich mit Geld ausgestattet worden, und so konnte sie nun so viel Stoff kaufen, dass es sogar für zwei Kleider reichte. Sie wählte für ihr Sommerkleid hellgrünen Musselin und dazu ein dunkelgrünes Samtband. Und für das zweite Kleid kaufte sie einfaches blaues Tuch, das sie mit Stickereien versehen wollte.
    Constanze dagegen ließ sich bei der Wahl sehr viel Zeit. Nach einer Weile wollte sie nach Seide für ihr weißes Kleid suchen und musste sich von ihrer Mutter erklären lassen, warum dieses Material für ein Kleid nicht passte.
    »Seide schmiegt sich eng an den Körper. Es ist ein dünner Stoff. Jede Kurve wird darunter zu sehen sein. Auch das Mieder wird sich durch den Stoff drücken. Ich rate dir zu einem festeren Material.«
    Wieder zog Constanze einen Schmollmund. Wenig später legte Malu ihr weißen Musselin vor, und als Constanze sah, mit welcher Andacht die Freundin über den Stoff strich, war sie mit dieser Wahl einverstanden.
    Da beide Mädchen mittlerweile fünfzehn Jahre alt waren, sollten sie im Mai die Konfirmation feiern und hernach als erwachsen gelten. Doch weder Constanze noch Malu fühlten sich als Frauen.
    »Blutest du schon?«, wollte Malu einmal von ihrer Freundin wissen.
    Constanze wurde bis über beide Ohren rot und schüttelte verschämt den Kopf. »Hast du schon mal geküsst?«, fragte sie zurück.
    Malu lachte auf. »Wen denn? Den Stallburschen vielleicht? Du weißt doch, dass ich das Gut nur verlassen darf, um zu euch zu kommen. Wen soll ich da küssen?«
    »Aber nach der Konfirmation wirst du Debütantin sein. Du wirst ein Abendkleid tragen, auf Bälle gehen und dich vor Verehrern kaum retten können. Erzählst du mir, wie das ist?«
    Malu zog die Stirn in Falten. »Ich weiß nicht, ob mein Vater für mich einen Ball ausrichten lässt. Meine Mutter. Sie hat es nicht so gern, wenn ich im Mittelpunkt stehe.« Dann schwieg Malu auf eine Art, dass Constanze es nicht wagte, nachzufragen.
    Manchmal gesellte sich Johann zu den Mädchen. Er war ein heller Kopf, lernte leicht und schnell. Während Ruppert sich mit der einfachen Bruchrechnung schwertat, löste Johann bereits die ersten Aufgaben, die ein Buchhalter zu bewältigen hat. Quälte sich Ruppert mit den lateinischen Texten, so las Johann bereits ein Buch im französischen Original.

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