Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Jemma genannt?«
Jemma hat auf diese Frage gewartet. »Die Leute haben manchmal besondere Namen füreinander.« Sie schielt zu ihm, um seine Reaktion einzuschätzen, aber er hat wieder seine übliche Haltung eingenommen und läuft mit in die Taschen geschobenen Händen, den Blick zu Boden gesenkt, weiter.
Sie brauchen eine gute Stunde, bis sie mit Nathaniel, den sie zu zweit stützen, wieder bei den Pferden angelangt sind. Jemma reißt ihren Unterrock in Streifen und verbindet ihm seinen Knöchel, bevor sie ihm beim Aufsitzen hilft.
Bis sie Flinders erreichen, ist die Nacht bereits hereingebrochen. Und selbst als der Mond hinter einer Wolke auftaucht und ihren Weg erhellt, können sie weder galoppieren noch traben, weil Nathaniel jede Bewegung schmerzt und sein Fuß so stark geschwollen ist, dass er seinen Stiefel ausziehen muss. Zu dick für den Steigbügel, schlägt er nutzlos gegen den Bauch des Pferdes und löst Schmerzensschreie aus. Fast den ganzen Weg haben sie im Gänsemarsch zurückgelegt, aber als sie sich dem Gehöft nähern, schließt Henry sich Jemma an. Sie sieht ihn nicht an, spürt aber seinen Atem und seine rastlosen Gedanken, die aus den Vorfällen des Tages ihre Schlüsse ziehen. Einige Zeit reiten sie nebeneinander, dann erträgt Jemma das Schweigen nicht mehr.
»Du wolltest ein Abenteuer!«
Henry grinst. »Ich bin froh, eins erlebt zu haben.« Er hält inne. »Aber es gibt Dinge, Mrs. Wright, die mir Rätsel aufgeben.«
»Welche Dinge denn, Henry?«
Er weiß nicht, wie er es ausdrücken soll, wie er das Geheimnis ansprechen soll, das sie zu umgeben scheint, sein Gefühl, dass es da etwas gibt, das sie nicht enthüllen wollen. Sie sind beide immer so gut zu ihm gewesen, dass es ihn traurig stimmt, nicht ihr Vertrauen zu genießen, sondern von ihnen ausgeschlossen zu werden. »Warum vertrauen Sie mir nicht?«
Jemma seufzt. Auch sie ist es langsam leid, sich zu verstellen. »Wir trauen keinem, Henry. Wir trauen nicht einmal uns selbst.«
43
Nathaniel sitzt vor ihrem Häuschen auf dem Rasen, hat seinen rechten Fuß auf einen Felsbrocken gelegt und starrt hinaus zur Insel. Ihm zur Seite liegt ein Paar roh aus Eukalyptusästen zusammengezimmerter Krücken, die es ihm erlauben, umherzuhumpeln, bis die Schwellung zurückgeht. Wenigstens ist der Knöchel nicht gebrochen, nur schlimm verstaucht.
An ruhigen klaren Nachmittagen wie diesen scheint die Insel näher zu rücken, und in den Fensterscheiben der wenigen Häuser an der gegenüberliegenden Küste lodert die Sonne auf, als würde ihnen jemand Signale senden. Wie aus Holz geschnitzte Figuren sieht man die grasenden Kühe auf den Weiden über den fernen Klippen stehen. Noch letzte Woche war es viel zu kühl, um hier auf dem Rasen zu sitzen. Doch im Moment erleben sie einen Indian Summer, und selbst die Luft riecht anders. Fast könnte man glauben, der Frühling sei gekommen. Nathaniel hat schillernde Libellen über dem trägen Fluss schweben sehen, der am Honeysuckle Beach mündet, und Kohlweißlinge im Garten.
Er verlagert seine Position, bis er halb auf der Seite liegt. Zieht einen langen Grashalm aus der Wiese und streicht damit über Jemmas nacktes Handgelenk.
Ihr Blick ist starr in die Ferne gerichtet. »Wenn wir ein Boot hätten, könnten wir dorthin rudern.«
»Warum willst du immer woandershin? Du könntest hinschwimmen, wenn du es wirklich möchtest.«
»Daran habe ich auch schon gedacht.«
Nathaniel lacht. »Das überrascht mich nicht.«
Auf der Landspitze unter ihnen taucht eine Gestalt auf, bleibt stehen, um einen Gezeitentümpel zu inspizieren, und geht dann weiter, die Augen auf das Felsplateau geheftet. Sie warten darauf, dass Henry aufblickt, damit sie ihm zuwinken können, aber er ist viel zu sehr in die Welt zu seinen Füßen vertieft. Wie immer folgt ihm Astor auf den Fersen und drückt seine Schnauze in einen Haufen getrockneten Seetang.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst«, sagt Nathaniel.
Jemma starrt gedankenverloren auf Henry. In keiner seiner Äußerungen kam Misstrauen zum Ausdruck. Aber das bedeutet nicht, dass er keinen Verdacht hegt. Sie hat ihn in letzter Zeit die Argus sehr viel genauer studieren sehen als zuvor, und zwei Mal hat er die Seiten mit Briefen oder Artikeln aufgeschlagen lassen, die sich mit den Taten von Musk und Byrne beschäftigen.
Jemma möchte sich gerade wieder ihrem Buch zuwenden, als der Wind seine zarte pfeifende Tenorstimme nach oben trägt. Es
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