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Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Titel: Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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das verfluchte Dorf setzen. Nein, es gab eine bessere Quelle, und zu der war er unterwegs.
    Ein ganzes Stück vor Whispering Willows bog ein Seitenweg nach rechts ab, vorne flankiert von Gestrüpp und Brennnesseln. Schutt lag dazwischen verteilt, und auf verwitterten Mauerresten sonnten sich ein paar Amseln. Schimpfend flogen sie davon, als Alebin näher kam.
    Der Weg war unbefestigt und, wie es aussah, lange vergessen. So viele Menschen waren ihn einst entlanggegangen, jeden Tag, morgens und abends. So viele Geschichten hatten sie begleitet, so viele Schicksale. Nichts war übrig geblieben. Die Menschen ruhten seit mehr als hundert Jahren in kornischer Erde, ihre Geschichten waren verhallt, und über die wenigen noch erkennbaren Fußspuren wuchs das Gras. Alebin trat es achtlos platt, während er dem Weg hinunter in eine leichte Senke folgte. Offenes Gelände mit steinigem Untergrund, von wildem Gesträuch und bewachsenen Schutthügeln durchsetzt. Am tiefsten Punkt ragten Ruinen auf. Bei ihrem Anblick nickte der Elf zufrieden, denn er hatte sein Ziel erreicht: die Zinnmine
Old Joe
.
    Still und verlassen stand eine Ruinenstadt im Licht der Oktobersonne: Mauerreste, Fördergestelle, Gebäuderuinen, Schächte … Mittendrin ragte das alte Maschinenhaus auf mit seinem langen, nach oben hin schmal zulaufenden Schlot. Er kam aus einem hohen, viereckigen Unterbau, einem Teil der Gebäudewand, der etwas nach vorn versetzt war. Sein Schatten fiel über den Eingang. Efeu hatte sich darangemacht, die Wände aus grauem Naturstein zu erobern. Schritt man auf das schlanke Gebäude zu, erinnerte es an eine alte Burg. Fünf breite Eingangsstufen führten hinauf zu einer schweren Holztür mit schönem Kopfbogen. Sie war noch vollständig erhalten. Aber wenn man sie öffnete, wie Alebin es tat, stand man dahinter gleich wieder im Freien.
    »Witzig!«, murmelte der Elf.
    Die schmale Kopfwand mit ihrem Eingang sowie ein Teil der linken Seitenwand waren alles, was von dem Maschinenhaus noch existierte. Fluchend trat Alebin den Rückweg an und knallte die Tür hinter sich zu, dass es nur so rumste. Aus den leeren Fenstern in der Höhe flatterten Vögel auf. Ihr erschrockenes Geschrei hallte durch die Ruinen … und fand ein Echo. Alebin sah sich um. Ein Stück entfernt, auf drei Seiten von Holunderbüschen eingefasst, stand ein alter Schuppen. Er war nicht sonderlich groß; keine zwei Meter hoch, und die Kanten der Frontseite waren mit ausgestreckten Armen erreichbar. Gut möglich, dass dort früher Hacken und Schaufeln zwischengelagert wurden.
    Der Schuppen war aus grau gealterten Latten gefertigt, mit einem Wellblechdach. Er hatte keine Fenster, nur eine kleine Tür, die mit einem Stein vor dem Aufspringen gesichert war. Im oberen Teil dieser Tür fehlte ein Stück Holz. Durch das Loch gelangte frische Luft in den Schuppen und Alebins Blick.
    Der Geruch von Hühnern drang dem Elfen in die Nase, als er sich umsah. Schmale Sonnenstreifen fielen durch die Zwischenräume der Lattenwand, brachten etwas Licht ins Halbdunkel und Staub zum Tanzen. Am Boden lagen Körner und etwas Heu. An der rechten Wand, ungefähr in Wadenhöhe, waren rostige Nägel zu erkennen. Lauter kleine Zaumzeuge hingen daran; aus Gras geflochten und in ordentlichen Reihen nebeneinander. Es mussten Hunderte sein. In Alebins Augenhöhe aber, auf einer Stange quer durch den Schuppen, saßen die Moorhühner.
    Das Vogelgeschrei draußen hatte sie misstrauisch gemacht. Sie gackerten verhalten und blickten mit schief gelegtem Kopf die Wände hoch. Vielleicht dachten sie, ein Raubvogel wäre im Anflug – wenn sie überhaupt etwas dachten. Sie sahen nicht sonderlich intelligent aus, aber dafür alle gleich.
    »Welche von euch ist Aurelia?«, hörte sich Alebin fragen und tippte sich gleich darauf verärgert an die Stirn. Wie blöd von ihm! Seit wann konnten Moorhühner sprechen?
    »Warum willst du das wissen?«
    Er prallte zurück. »Ihr versteht mich?«
    »Wenn du das nicht vorausgesetzt hast, wieso redest du dann mit uns?«
    Alebin presste sein Gesicht an das Loch in der Tür und fragte sich nicht, wie es für die Hühner aussehen musste: dieses eine Auge, das suchend über ihre Reihen blickte. Er wollte wissen, welches Federvieh zu ihm sprach. Doch da konnte er gucken, soviel er wollte – es war nicht herauszufinden. Alle bewegten ihre Schnäbel, und bei dem ständigen halblauten Gackern ließ sich auch kein Geräusch zurückverfolgen. Es kam ihm vor, als würden sie das

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