Seidenfpade
Leinen.
Katja blickte Tony Liu an.
Er war gelassen wie eine Lotosblüte. Unbewegt sah er zu, wie der Container mit dem Reis und der antiken Seide am Kran hing und langsam an Land manövriert wurde. Vorsichtig senkte sich die Kiste auf den Asphalt herab, wo überall Zollbeamte herumschwirrten.
Kasatonins Hände schlossen sich um die Aufschläge von Lius beigem Seidenanzug.
»Laß sofort mit dem Entladen aufhören, du Idiot«, fauchte er. »Noch berührt der Container mit dem Glaszylinder nicht amerikanischen Boden. Die Zollbeamten haben nicht das Recht, ihn zu durchsuchen!«
Dem Zorn folgte Überraschung, als Liu klarwurde, daß Kasatonin wußte, in welchem Container sich die Seide befand.
Kasatonin schüttelte ihn.
»Jawohl, du schlauer Fuchs, wir wissen, wo sie ist«, blaffte er weiter. »Laß mit dem Entladen aufhören, bevor es zu spät ist!«
Ein Grinsen breitete sich auf Lius Gesicht aus, bei dem alle seine tabakgelben Zähne entblößt wurden. Er lachte Kasatonin frech ins Gesicht.
»Ein Idiot? Nein, das bin ich nicht«, wehrte er sich milde. »Warten Sie ab. Sie werden schon sehen!«
»Wenn wir dieses Glasrohr verlieren, bist du ein toter Idiot!«
Liu lachte noch mehr.
»Ilja!« Katja zupfte ihn am Ärmel.
Ohne die Jackenaufschläge des lachenden Chinesen loszulassen, drehte Kasatonin sich um und starrte aus dem offenen Wagenfenster.
Die Zollbeamten hatten sich über die drei blauen Container hergemacht, die bereits auf dem Dock standen. Einige Crewmitglieder der Esmeralda und eine zunehmende Anzahl von Hafenarbeitern sammelten sich, um zu gaffen. Ein Beamter stieß ein Brecheisen unter die Siegel der Inspektionsklappe. Die dünnen Metallstreifen rissen ohne Widerstand.
Als zwei Beamte die Klappe öffneten, sprang ein Hund vor und griff den Pappkarton an, der nun sichtbar geworden war. Der Karton wurde augenblicklich von dem Hund wütend attackiert. Plastikbeutel fielen heraus.
Schließlich griffen beide Schäferhunde die Beutel an, rissen sie mit ihren Zähnen in Stücke. Eine Wolke weißen Pulvers stob auf, bevor die Hundeführer ihre Tiere zurückreißen konnten.
Mehr Zollbeamte und Hafenarbeiter versammelten sich um die zerfetzte Verpackung. Der Helikopter landete nicht weit von ihnen auf dem Platz. Die Rotoren wirbelten das weiße Pulver auf, und Plastikbeutel flogen in alle Richtungen.
Die Suchhunde stürzten sich kläffend und bellend auf die weiße Ware. Alle außer den Frachtarbeitern stolperten aus dem Weg. Mehrere Beutel fielen ins Wasser, wo sie zwischen der Esmeralda und dem Pier trieben.
Liu lachte und lachte.
»Warum lachen Sie?« grollte Katja. »Das ist eine Katastrophe!«
Liu schüttelte nur den Kopf und kicherte weiter.
»Die Hunde«, japste er schließlich. »Sie haben so fein trainierte Nasen. Ein Hauch Heroin, und sie spielen verrückt!«
Katja betrachtete Liu entgeistert, als ob auch er durchgedreht wäre.
»Container acht-neun-drei-drei-fünf«, rief Kasatonin auf einmal. »Katja, schau mal!«
Während sich auf der Werft ein Hexenkessel zusammenbraute und die Mannschaften anderer Schiffe anlockte, fuhr der Kranführer ungerührt fort, Container acht-neun-drei-drei-fünf abzu-laden. Er bugsierte die blaue Box an Land und ließ sie dann behutsam zur Werft hinunter.
Frachtarbeiter lösten sich aus dem Tumult um die ersten drei blauen Container. Sie gingen ohne Zögern zu dem Behälter, in dem die kostbare Seide versteckt war. Ein Containerstapler rollte unverzüglich heran.
Während aller Augen auf die Drogenrazzia gerichtet waren, nahm der Stapler flink den Haupttreffer auf. Und schon rollte das achträdrige Gefährt mit Container acht-neun-drei-drei-fünf wie eine Mutter, die ihr Baby in Armen hält, davon.
Nur einen Augenblick später verschwand die Kiste hinter einem Gebäudeblock.
Kasatonin ließ Lius Jackenaufschläge los.
»Kluger Chinese«, lobte er. »Wieviel Heroin hat Sie das gekostet?«
»Ein Kilo.«
Liu kicherte nach wie vor und beobachtete das Schauspiel, das er inszeniert hatte.
»Von hier aus sah das nach mehr als nur zwei Pfund aus«, sagte Katja.
»Das Heroin ist stark verschnitten«, erklärte Liu. »Die Hunde kennen nur den Geruch. Die Qualität des Stoffs können sie nicht beurteilen.«
Nun drehte sich Liu um und starrte Kasatonin lange Zeit an.
»So ist das also!« Er zog zischend die Luft durch die Vorderzähne. »Sie vertrauen mir nicht? Sie lassen mich ausspionieren?«
»Selbstverständlich«, entgegnete Kasatonin ungerührt.
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