Seidenmagd
ein wahres Elend«, stimmte Anna ihm zu. »Der Prediger hat am Sonntag gut darüber gesprochen, aber ob sich das alle zu Herzen nehmen werden?«
»Der Marquis von Voyer d’ Argenson war zu Gast bei den von der Leyen.«
»Tatsächlich? Was hat er hier gewollt?«
»Er hat bei einem Kavallerieregiment Truppenschau gehalten und wohl dessen Eskadronen inspiziert. Angeblich soll er versichert haben, dass in der Stadt Augsburg der Friedenskongress abgehalten wird. Vermutlich aber erst Anfang Juni.«
»Wir haben Ende April. Bis dahin sind es noch anderthalb Monate.«
Abraham nickte. »Es ist aber ein Hoffnungsschimmer, mein Herz.«
»Bei den von der Leyen war der Marquis?«
»Ja, aber nur für einen Nachmittag. Er habe etwas Suppe zu sich genommen und einen Tee getrunken, wird berichtet.«
»Catharina wird uns vielleicht am Sonntag davon erzählen können.«
»Catharina?« Abraham sah sie verständnislos an.
»Catharina, die kleine Tochter von Madame te Kamp. Sie arbeitet als Kammermädchen bei Frieder von der Leyen.«
»Ach? Die kleine Käthe?«
»Sie muss zwanzig sein, Abraham. Oft ist sie hierher gekommen und hat sich Bücher ausgeliehen.« Anna lächelte. »Sie ist wissenshungrig und gelehrig, aber furchtbar schüchtern.«
»Ja, ich weiß nun, wen du meinst. Madame te Kamp ist eine entfernte Cousine meiner Mutter. Sie hat ein hartes Schicksal zu tragen.«
»Das ist wahr.« Anna senkte den Kopf.
Abraham sah sie nachdenklich an. »Stimmt es nicht, was ich sagte?«
»Doch, schon. Das Schicksal hat es nicht gut mit ihr gemeint. Wenn es denn so was wie Schicksal gibt.«
Abraham lächelte. »Meinst du, alles ist gottgewollt?«
»Wenn ich das nur wüsste. Oft mache ich mir Gedanken darüber. Warum haben manche Menschen ein schweres Leben, andere aber nicht? Liegt es daran, wie sehr man glaubt?«
»Meinst du? Ich habe dich immer als sehr gottesfürchtig empfunden, auch früher schon. Du suchst den Dialog mitGott, fügst dich – und dennoch war dein Leben nicht einfach.«
»Aber ich habe es getragen und mich gebeugt. Meistens. Und jetzt werde ich belohnt dafür.« Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Aber auch Madame te Kamp hat sich gefügt. Sie geht eifrig zu Kirche, betet und tut gute Taten. Sie kümmert sich um die, die noch ärmer sind als sie, arbeitet hart – Tag und Nacht.«
»Hmm.« Abraham nahm seine Pfeife und stopfte sie nachdenklich.
Anna zog die Augenbrauen hoch und sah ihn fragend an. »Siehst du das anders?«
»Anna, du bist der herzlichste Mensch, den ich kenne. Du hast dein Leben bisher trefflich gemeistert, allen Widrigkeiten zum Trotz. Du hast Klippen umschifft, bist durch Täler gegangen und hast Berge erklommen – metaphorisch gesehen. Du bist du geblieben in all der Zeit.« Sein Blick war voller Liebe.
Anna biss sich auf die Lippen und senkte den Kopf. »Ich hatte Glück. Hätte ich Claes und dich nicht kennengelernt, eure Mutter, meinen Onkel – ich weiß nicht, was dann aus mir geworden wäre.« Anna schwieg, wich dem Blick ihres Mannes aus.
»Meine Liebe, wir haben dich alle in unser Herz geschlossen. Aber deinen Weg bist du gegangen. So wie ihn Madame te Kamp geht.« Den letzten Satz sagte er mit einem zynischen Tonfall.
»Abraham?«
»Was?«
»Irgendetwas missfällt dir an Madame te Kamp, ich höre es genau.«
»Missfällt?« Er runzelte die Stirn. »Nein, so würde ich das nicht nennen. Ich ... nun, ihre Härte, ihre Art mit anderen umzugehen – es erscheint mir seltsam.«
»Seltsam?« Anna schenkte beiden Tee ein. »Ihre Härte?«
»Du weißt doch, was ich meine. Wie sie mit ihren Kindern umgeht. Das andere Mädchen – wie heißt sie noch gleich? Henrike? Sie hatte eine gute Anstellung bei den Flohs. Und sie musste sie aufgeben, um der Mutter den Haushalt zu führen. Gottfried Floh war nicht entzückt darüber.«
»Alleine kann Esther den Haushalt nun mal nicht bewältigen. Sie arbeitet hart als Fein- und Weißnäherin.«
»Das weiß ich. Und sie verdient nicht schlecht an den Franzosen. Sie könnte sich eine Magd und einen Knecht leisten, statt ihre Kinder zur Arbeit zu zwingen.«
»Ob Henrike nun bei den Flohs arbeitet oder zu Hause, spielt doch keine Rolle.«
Abraham warf ihr einen abwägenden Blick zu. »Meinst du wirklich?«
Anna dachte nach. »Ich weiß nicht. Vermutlich nicht. Für andere zu arbeiten kann beides sein – leichter oder schwerer, je nachdem, wie man mit seinem Herrn auskommt. Immerhin bekommt man
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