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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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würde. Dann ging sie mit Monk im Schlepptau zur Tür.
    Wiggins fluchte und spuckte in einen Messingnapf auf dem Fußboden.
    Die Frau führte Monk durch schmuddelige Straßen zum Fluß hinunter und von dort aus nach Osten, wie er vermutet hatte, zur Isle of Dogs. Ein schneidender Wind wehte vom Wasser herauf und trug den Geruch von Salz, verdorbenem Fisch, übergelaufenen Abwasserkanälen und der kalten Feuchtigkeit der abfließenden Flut Richtung Flußmündung und Meer mit sich. Auf dem grauen Wasser bahnten sich endlose Reihen schwerbeladener Lastkähne ihren Weg stromabwärts.
    Ein Brauereiwagen fuhr im Schritt neben ihnen auf der Straße her, und seine Räder holperten über die unebenen Pflastersteine. Ein Lumpensammler ließ seinen klagenden Ruf hören, als erwarte er tatsächlich eine Antwort. Zwei Frauen, die an der Straßenecke standen, waren in einen wilden Streit verwickelt, und eine Katze huschte mit einer Ratte im Maul durch eine Gasse.
    Sie gingen die Bridge Street hinunter, zwischen Limehouse Reach auf der einen Seite und den West India Docks auf der anderen hindurch. Hohe Masten durchbrachen die Silhouette der Stadt, zeichneten sich grau gegen die Wolken ab und bewegten sich kaum von der Stelle. Aus den Schornsteinen zogen dünne Rauchschwaden in die Luft. Maisie ging an der Cuba Street vorbei und machte in der Manila Street dann endlich halt.
    »Drittes Haus auf der anderen Seite«, sagte sie heiser. »Da wohnt sie. Selina heißt sie.« Dann streckte sie zaghaft die Hand aus, als sei sie nicht sicher, ob sie den zweiten Shilling wirklich bekommen würde oder nicht.
    »Wie sieht sie aus?« Er wollte feststellen, ob ihre Beschreibung mit der von Mr. Arbuthnot übereinstimmte. Wenn es so war, würde er ihr vertrauen, und sie sollte ihren Shilling bekommen.
    »Ein Flittchen«, sagte sie hastig und biß sich dann auf die Lippen. »Ganz hübsch, wirklich, 'n bißchen auffällig vielleicht. Dünn, würde ich sagen, scharfe Nase, aber schöne Augen, wirklich schöne Augen.« Sie sah Monk an, um festzustellen, ob ihm das reichen würde, und stellte fest, daß es das nicht tat.
    »Irgendwie braune Haare, schöne, volle Haare. Und immer ziemlich selbstsicher, zumindest, wenn ich sie sehe. Schwingt die Hüften beim Gehen. Wie ich schon gesagt habe, ein Flittchen.« Sie schniefte. »Aber sie hat Mumm in den Knochen, das muß man ihr lassen. Hab' sie nie jammern hören, nicht wie manche das tun. Macht 'ne gute Miene zum bösen Spiel, egal, was passiert. Und sie hat's bestimmt nicht leicht, nicht mit 'nem Kerl wie Caleb Stone.«
    »Vielen Dank.« Monk gab ihr den Shilling. »Haben Sie Caleb Stone gesehen?«
    »Ich? Ich hab' nichts übrig für Leute wie die. Hab' genug zu tun mit meinen eigenen Problemen. Kann sein, daß ich ihn mal gesehen hab'. Würd's aber nicht zugeben, wenn Sie mich vor anderen Leuten noch mal fragen.«
    »Ich habe Sie noch nie gesehen«, sagte Monk gelassen. »Und sollte ich Sie je wiedersehen, glaube ich nicht, daß ich Sie erkennen würde. Wie heißen Sie?«
    Sie lächelte verschwörerisch und entblößte dabei zwei Reihen kaputter Zähne.
    »Hab' keinen Namen nicht.«
    »Das hab' ich mir gedacht. Drittes Haus auf der Seite da?«
    »Ja.«
    Er drehte sich um und ging den schmalen Weg entlang, der kaum breit genug war, um nicht in die Gosse zu treten, und beim dritten Haus ging er die Stufen zu der Tür hinunter, die von einem kleinen, mit Abfällen übersäten Bereich ins Haus führte. Er klopfte energisch und hatte gerade die Hand gehoben, um es noch einmal zu versuchen, als ein mit Sackleinen verhängtes Fenster über ihm sich öffnete und eine alte Frau den Kopf herausstreckte.
    »Sie ist nicht zu Hause! Kommen Sie später wieder, wenn Sie zu ihr wollen.«
    Monk legte den Kopf in den Nacken, um nach oben zu blicken. »Wieviel später?«
    »Weiß nicht. Gegen Mittag vielleicht.« Dann verschwand sie wieder, ohne das Fenster hinter sich zu schließen, und Monk trat gerade rechtzeitig zur Seite, um einem Kübel mit Schmutzwasser auszuweichen, der über ihm entleert wurde.
    Er wartete ungefähr zwanzig Meter von dem Haus entfernt auf der Straße, halb im Schutz einer überhängenden Mauer, konnte aber von seinem Standort aus weiterhin die Treppe beobachten, die zu Selinas Wohnung hinunterführte. Die Kälte wurde immer unangenehmer, und gegen Mittag begann es zu regnen. Viele Leute gingen an ihm vorbei; sie hielten ihn vielleicht für einen Bettler oder für einen Mann, der kein Zuhause hatte,

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