Seine einzige Versuchung
zwang er sie, zu lügen. Ihre Antwort war keine, mit der sie ihr Gewissen beruhigen konnte:
„Nein.“
Einige Stunden später registrierte Benthin, wie die Haustür ins Schloss fiel. Elli hatte sich nicht verabschiedet. Er sah aus dem Fenster. Sie ging nicht in die übliche Richtung, in der die Suppenküche lag. Er tat etwas, das er nie für möglich gehalten hätte. Doch seine Eifersucht ließ ihn wie von einer fremden Macht kontrollierthandeln. Er ging in ihr Schlafzimmer. Sie hatte die Rosenblätter vom Bett genommen und in eine Schale gelegt. Die Vasen und Kerzen standen noch genauso an dem Platz, wo er sie kurz vor ihrer Abfahrt zu Ellis Eltern hingestellt hatte, als sie schon in der Kutsche saß. Er hasste die Umstände, unter denen er jetzt ihr Zimmer betrat, aber er konnte nicht anders. Er begann, ihre Sachen zu durchsuchen. Ihr Verhalten war zu auffällig gewesen. Benthin glaubte nicht an die Harmlosigkeit der Eilnachricht. Da war Ellis verräterisches Augenleuchten beim Anblick der seltsamen, eckigen Handschrift gewesen, dann ihre ungeschickten Reaktionen und das hektische Verbrennen der Nachricht im Kamin. Benthin wünschte, er möge sich irren, aber es war zu offensichtlich, dass sie etwas zu verbergen hatte. Wie lange ging das schon? Hatte sie jemanden im Seebad kennengelernt, oder war die Sache mit Kabus etwa weitergegangen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass etwas anderes als ein Mann hinter ihrer Heimlichtuerei steckte, wohingegen er sich sehr wohl vorstellen konnte, dass sie bei anderen Männern Begehrlichkeiten weckte. Ein Gedanke, der ihm Übelkeit verursachte. Er versuchte, logisch zu denken: wo würde sie Hinweise verstecken? Es musste Indizien geben - Frauen neigten dazu, Erinnerungen aufzubewahren, wenn sie nicht gerade wie Elli am Morgen genötigt waren, ein Beweisstück schnell im Feuer zu vernichten. Aus unerfindlichen Gründen hatte er es nicht gewagt, sie direkt auf seinen Verdacht anzusprechen. Doch , der Grund dafür war naheliegend: sollte er sich irren, wäre ihm ihre Verachtung für sein mangelndes Vertrauen bis auf Weiteres sicher gewesen. Frau Roth hatte gründliche Arbeit geleistet: alle Koffer waren bereits ausgepackt und die meisten Kleider gereinigt und wieder im Schrank verstaut. Nur ihre kleine Reisetasche stand noch herum, gleich neben ihrem Bett. Warum hatte sie die Tasche am Bahnhof unbedingt selber tragen wollen? Das handliche Gepäckstück zog ihn magisch an. Er vergewisserte sich, dass er die Tür auch richtig hinter sich geschlossen hatte und begann, die Tasche zu durchwühlen. Da waren die üblichen Utensilien, die Frauen so brauchten, nichts Verräterisches. Doch dann entdeckte er ein Seitenfach, das ihm zunächst entgangen war. Es war mit einer Stofflasche und Knöpfen verschlossen, so dass der Inhalt nicht herausfallen konnte - ein idealer Aufbewahrungsort für eine Geldbörse oder andere wichtige Dinge, die man keinesfalls verlieren wollte… Ein kleiner Stapel Briefe blickte ihm entgegen, als er die Lasche öffnete. Ungeduldig zerrte er den Stapel heraus und fand mehrere Briefe mit seiner eigenen Handschrift. Zu seinem Entsetzen erkannte er nun die auffällige Handschrift der Eilnachricht vom Morgen auf weiteren Briefumschlägen. Nichts ist schlimmer, als wenn aus einer bösen Vorahnung Gewissheit wird. Diese Erkenntnis traf ihn nun mit voller Wucht und überrollte ihn mit aller Macht. Der Beweis verschaffte ihm keinerlei Befriedigung. Sein letzter Rest an Hoffnung, seine Befürchtungen würden sich in Luft auflösen, war zunichte gemacht. Hektisch zog er einen Briefbogen nach dem nächsten aus den Kuverts und überflog rasend schnell die Worte. Hier war eindeutig ein Verführer höchsten Grades am Werk gewesen. Da war die Rede von Leidenschaft und Begehren. Der Autor sprach Elli beim Vornamen an - ihre Vertrautheit musste also schon sehr weit fortgeschritten sein.So blumig und abwechslungsreich die Sprache auch war, alle Briefe hatten eine unübersehbare Gemeinsamkeit: sie waren unterzeichnet mit R. K.
Benthin stieß einen grimmigen Fluch aus und warf die Briefe des verhassten Nebenbuhlers wütend hoch, so dass sie im Zimmer umher segelten. Also doch! Wahrscheinlich hatte Benthins Drohung auf dem Ball seine Eroberungslust geradezu beflügelt. Kabus hatte Elli weiterhin getroffen und auch während ihres Kuraufenthaltes seine Bemühungen um sie nicht eingestellt - offenbar mit Erfolg! Benthin war außer sich. Nun, da er die Beweise für ihre
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