Seine einzige Versuchung
Dieses Modell funktionierte aber nur, solange alle Beteiligten bereit waren, das verlogene Spiel mitzuspielen. Elli konnte keine Vorzüge in solchen Arrangements sehen. Mochten andere Ehepaare aus Vernunftgründen zusammen leben - für sie kam dies nicht infrage! Sie würde nicht ein Leben an der Seite eines Mannes fristen, der sie nicht liebte, während sie sich vor Sehnsucht nach ihm verzehrte. Sie hatten sich gegenseitig schwer zugesetzt - das wollte sie nicht noch einmal erleben. Dann bliebe sie lieber ihr Leben lang alleine - das schuldete sie schon ihrer Selbstachtung. Der Reifungsprozess, den Elli in diesen Wochen im Eiltempo durchlief, war äußerst schmerzhaft. So sehr ihr die Gedanken an eine endgültige Trennung auch wehtaten - sie musste sich mit diesen Aussichten auseinander setzen.
Während sich Elli auf das Ende ihrer Ehe einzustellen begann, erlebte Benthin Abgründe seelischer Qualen, wie er sie sich schlimmer nicht hätte ausmalen können. Zunächst konnte er sich noch überzeugen, einige Tage Abstand täten ihnen beiden womöglich ganz gut, um alles zu überdenken. Immer wieder sah er sie in den Armen des anderen - willig und vertraut. Ununterbrochen quälte er sich mit dem Gedanken, wie lange sie wohl schon so eng miteinander verkehrten. Im Gegensatz zu ihm hatte sein Nebenbuhler offenbar keine Hemmungen gehabt, sich einfach zu nehmen, wonach es ihn gelüstete. Er versuchte, die quälenden Gedankenketten zu zerschlagen, indem er sich wieder mehr Arbeit auflud. Sein Plan schlug gründlich fehl. Nichts wollte ihm mehr gelingen. Seine sonst so brillante Überzeugungskraft war wie ausgelöscht. Er fühlte sich, als habe man ihm die Seele amputiert. Wieder und wieder verfluchte er sich, überhaupt jemals Anstrengungen unternommen zu haben, in die Politik einzusteigen. Niemand hätte ein Problem gehabt, wenn er weiter wie bisher sein bestens eingespieltes Junggesellenleben fortgesetzt hätte: ab und an ein paar außergewöhnliche Fälle, hier und da ein Besuch im Bordell - fertig, aus! Und wo stand er jetzt? Ein Weg zurück in sein altes Leben war unmöglich - sie hatte wesentliche Teile von ihm mitgenommen, zum Beispiel sein Herz… Benthin wurde nachts von Schlaflosigkeit und unendlicher Müdigkeit am Tag geplagt. Er mochte kaum noch etwas essen, trank mehr Alkohol als ihm guttat und ließ sich zu Hause gehen, was seine sonst so korrekte Garderobe betraf. Das Haus verließ er ohnehin nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Seine zahlreichen politischen Gegner frohlockten angesichts seiner überdeutlichen Schwäche. Vor Gericht war er unkonzentriert und lief Gefahr, Fälle zu verlieren, die er früher mit links gewonnen hätte. Blöhm sah hilflos zu, wie sein Chef nur noch im Büro auf- und abging und wie ein Getriebener immer wieder aus dem Fenster sah als erwarte er, dort jemanden zu sehen. Frau Roth unternahm mehrere vorsichtige Versuche, ihn auf Ellis Fehlen anzusprechen. Doch er wehrte ihre Erkundigungen zuerst niedergeschlagen, später aggressiv ab, so dass sie keine weiteren Vorstöße mehr wagte. Niemals hatte sie ihn so erlebt. Er war für sie ein Vorbild an Charakterstärke, an dem sich manch einer ein Beispiel hätte nehmen können, aber nun war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Sie kannte die Ursachen für Ellis Fernbleiben nicht. Diesmal war kein Kuraufenthalt oder etwas Ähnliches der Grund. Etwas sehr Ernstes musste zwischen den Eheleuten vorgefallen sein, um einen gestanden Mann wie Benthin in einen solchen Zustand zu versetzen. Ihre Loyalität gegenüber ihrem geschätzten Arbeitgeber verbot ihr, mit Außenstehenden über seine Verfassung zu sprechen. Blöhm tat dies ebenso wenig, welche Motive ihn auch immer dazu anhielten. Und doch hatte man längst in Gesellschaftskreisen zu munkeln begonnen, etwas stimme nicht im Hause Benthin. Bereits beim Faschingsball war einigen aufmerksamen Beobachtern der kleine Zwischenfall mit Kabus nicht entgangen. Man musste kein Hellseher sein, um sich die Einzelteile zusammen reimen zu können. Klatschbasen hatten ohnehin ihre Freude daran, fehlende Fakten durch effekthascherische Beigaben zu ergänzen. Hinzu kam Benthins auffallend schlechte Form bei öffentlichen Anlässen. Kurzum: man tuschelte über ihn und seine Frau. Sie standen ohnehin schon von Beginn ihrer Ehe an im Fokus der Aufmerksamkeit, da er ihr so freimütig zugestand, ihren Interessen nachzugehen. Nun sahen sich diejenigen bestätigt, die es ja schon immer gewusst
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