Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
heute früh – trotz der permanenten Schneewarnungen –, aber ich zittere wieder. Lorcan legt mir eine Hand auf den Rücken. Sie fühlt sich warm und stark an. Ein Teil von mir möchte sich dieser Hand entziehen – die Berührung ist zu intim. Doch sie gefällt mir. Tröstet mich. Verleiht mir Kraft.
Ich sehe ihn von der Seite her an.
»Bist du bereit?«, fragt er. »Und du weißt, was du sagen musst?«
Ich nicke. Lorcan greift an mir vorbei und drückt auf den Summer. Ein Hauch seines Dufts dringt mir in die Nase – eine Mischung aus Holzspänen und Seife und etwas Scharfem, Zitronenartigem.
Eine formell klingende weibliche Stimme dringt durch die Sprechanlage. »Was kann ich für Sie tun?«
Ich nenne den falschen Namen, auf den Lorcan und ich uns geeinigt haben. »Ich habe einen Termin bei Dr. Rodriguez.«
»Ich … einen Moment bitte …«
Lorcan und ich wechseln einen Blick. Dann ist die Stimme wieder da.
»Ich fürchte, da liegt ein Irrtum vor. Dr. Rodriguez arbeitet nicht mehr hier.«
»Aber ich bin extra aus London hierhergekommen.« Ich lege Gefühl in meine Stimme. »Bitte … ich muss mit jemandem sprechen.«
Es dauert einen Moment, dann ertönt der Türsummer.
Lorcan grinst, als er einen Schritt zurücktritt, um mich durchzulassen. Das Ganze ist seine Idee, der Plan, den wir uns während der Herfahrt zurechtgelegt haben. Er wirkt noch immer sehr entspannt und zuversichtlich, welch himmelweiter Unterschied zu mir! Ich bin zutiefst dankbar. Allein oder mit jemand weniger Selbstsicherem würde mich dieser Besuch hier völlig überfordern.
Drinnen fällt es mir einen Augenblick lang schwer, mich zurechtzufinden. Alles wurde renoviert und umgestaltet. Die Rezeption befindet sich jetzt links vom Eingang und ist besetzt mit einer mir unbekannten Frau in den Fünfzigern mit Designerbrille. Ihr Blick wandert von mir zu Lorcan. Er erwidert ihren Blick, einen Moment länger als nötig.
Ich schlucke, als die Frau sich mir zuwendet. »Wie war noch Ihr Name?«
Wieder nenne ich den falschen Namen. Wir haben beschlossen, alles, außer dem Namen, so zu belassen wie im wirklichen Leben. Lorcan behauptet, dass Lügen am besten funktionieren, wenn sie der Wahrheit so nah wie möglich kommen.
»Ich war vor acht Jahren hier«, sage ich, »als Patientin von Dr. Rodriguez. Ich habe für heute einen Termin bei ihm vereinbart.«
Die Frau schaut von ihrem Terminbuch hoch, die Stirn gerunzelt. »Das verstehe ich nicht. Dr. Rodriguez ist schon seit Jahren nicht mehr hier. Er ging weg, noch bevor ich hier anfing. Ich weiß nicht, wer Ihnen diesen Termin gegeben hat. Da muss ein Missverständnis vorliegen.«
»Oh.« Mein Herz pocht so laut, dass sie es hören muss. Ich brauche die Verletzlichkeit, die ich zeigen soll, nicht vorzutäuschen. Mir stehen die Tränen in den Augen. »Aber wir sind extra von London hierhergekommen.« Ich wende mich ab, suche in meiner Handtasche nach einem Taschentuch.
Als ich eins herausnehme und mir die Tränen abtupfe, höre ich im Hintergrund Lorcans Stimme. Er spricht sehr leise, sodass ich nur hin und wieder ein Wort aufschnappe … Totgeburt … Freund … damit abschließen …
Ich schaue in seine Richtung. Der Gesichtsausdruck der Empfangsdame wird weicher, doch ich erkenne, dass sie nicht nachgeben wird. Als Lorcan mit seiner Erklärung fertig ist, sagt sie mit leiser, fester Stimme: »Es tut mir sehr leid, aber es gibt nichts, was ich tun könnte …«
»Aber ich habe einen Termin«, schluchze ich. »Wieso hat mir jemand einen Termin bei ihm gegeben, wenn er gar nicht mehr hier arbeitet?«
Die Empfangsdame schiebt die Brille höher auf die Nase. Sie wirkt jetzt nervös.
»Es tut mir wirklich leid, aber da muss etwas schiefgelaufen sein.« Sie fährt mit dem Finger über die geöffnete Seite des Terminbuchs. »Ich kann hier Ihren Namen nicht finden, aber ich könnte einen der anderen Ärzte bitten, mit Ihnen zu sprechen, wenn er einen Moment Zeit hat.«
»Aber es ist wichtig für sie, mit Dr. Rodriguez zu sprechen.« Lorcans Stimme ist die perfekte Mischung aus Bestimmtheit und Höflichkeit. »Könnten Sie uns sagen, wie wir ihn erreichen können?«
»Ja«, füge ich hinzu. »Ich bin mir sicher, dass er nichts dagegen hätte, wenn ich mit ihm Kontakt aufnehme. Er hat immer gesagt, ich könne jederzeit zu ihm kommen, wenn ich über die Sache reden müsse.«
Die Empfangsdame lächelt mitfühlend. »Es tut mir wirklich sehr, sehr leid, aber ich darf keine Privatadressen
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