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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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auf dich genommen und dich nicht gescheut hast zu kommen. Sally hat oft davon erzählt, wie viel Spaß ihr zusammen hattet, und mir ist sehr wohl bewusst, dass dies das genaue Gegenteil davon ist.«
    »Danke«, sage ich und spüre, dass plötzlich Tränen meine Augen überfluten. Seine Qual lässt sich mit Händen greifen, und dennoch beißt er die Zähne zusammen und hat sich im Griff. Es ist, als würde ein Hitzenebel den Raum füllen, statisch und drückend. »Es tut mir so leid …«, sage ich, »es tut mir wirklich leid.« Ich kann die Tränen nicht mehr länger zurückhalten, der Druck wird einfach zu groß. William umrundet rasch den Tisch und kniet vor mir nieder.
    »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen«, sagt er beschwörend und reicht mir meine heruntergefallene Serviette. »Ich müsste mich entschuldigen. Ich möchte auf keinen Fall verantwortlich für noch mehr Leid sein.« Ich versuche mich wieder unter Kontrolle zu bringen, aber je mehr ich mich bemühe, umso mehr verliere ich sie.
    »Ich bin wirklich ein Idiot«, murmelt William wütend und reicht mir eine frische Serviette.
    »Bist du nicht.«
    »Doch, bin ich. Ich bin in diesen Dingen so verdammt nutzlos.«
    Er sieht mich ergriffen an. Welche »Dinge« er wohl meint? Ich spüre, dass auch er sein Päckchen zu tragen hat.
    »Nein, ich bin froh. Wirklich, ich bin froh, hier zu sein«, sage ich und meine Tränen lassen nach, und indem ich es ausspreche, wird mir klar, dass es wenigstens teilweise der Wahrheit entspricht. Wäre ich nach der Trauerfeier einfach zur Tagesordnung übergegangen, hätte ich keine Ruhe gefunden und ständig all meine unbeantworteten Fragen durchgekaut. Ich wende mich mit einem Lächeln an ihn, weil mich sein Anblick, kniend auf dem Boden, rührt. So zerknautscht auf dem Teppich, wo ihm das Hemd aus seiner steifen Hose quillt, wirkt er gar nicht mehr so unnahbar.
    »Du musst nicht da unten bleiben, hörst du.«
    »Ich habe dich zum Weinen gebracht. Da kann ich doch wenigstens zu Kreuze kriechen.«
    Er sagt dies mit einem verlegenen Lächeln, und da wird mir klar, dass sein sonstiges Mienenspiel nur aus gut einstudierten Reflexen seiner Gesichtsmuskeln bestand – wohingegen er nun von einem Ohr zum anderen strahlt. Es lockert die Steifheit und bringt seine Verletzlichkeit an die Oberfläche. Einen Moment lang vermag ich genau zu erkennen, was Sally wohl in ihm gesehen hat, bis mir klar wird, dass es das ist, was ich sehen würde und nicht sie.
    William erhebt sich und streift unbeholfen die Fussel von seiner Hose, ehe er an seine Seite des Tisches zurückkehrt, wobei er noch einen kurzen Moment verweilt, um sich zu vergewissern, ob ich mich auch tatsächlich wieder gefangen habe. Er schenkt mir nach und hält meinen Blick fest.
    »Tut mir leid, du hast mich was gefragt.«
    »Bitte fühl dich nicht verpflichtet …«
    »Nein, es ist …« Er sieht mich an. »Es gibt in der Tat nicht viele Menschen, mit denen mir im Moment ein Gespräch möglich ist.« Wieder spüre ich Sally: Ihre Gegenwart und ihre Abwesenheit sind wie zwei elektrische Ströme, die durch den Raum fließen. Wie schrecklich muss es sein, den nächsten Vertrauten zu verlieren, und mit diesem Verlust auch den Menschen, an den man sich Trost suchend wenden würde. »Die Leiche wurde zwar durch die Polizei …« Er stockt und wendet sich ab, und wieder tappe ich im Dunkeln, wie ich die Kluft am besten überwinden kann. Ich überlege, mit meinem Stuhl um den Tisch zu wandern und mich neben ihn zu setzen, aber diese Brücke scheint mir dann doch zu weit zu gehen. Er fasst sich wieder und strafft seine Schultern. »… zur Beerdigung freigegeben, aber jetzt stellt die Versicherungsgesellschaft Fragen. Sie versucht, die Ermittlungen neu aufnehmen zu lassen. Sally hatte bei ihnen eine Lebensversicherung.«
    Angst kriecht wie eine Echse über mich, und mein Blick fällt unwillkürlich wieder auf das Foto. Was hast du getan, Sally? Sie lächelt mir entgegen – diese weiß gebleichten Zähne, die perfekte Frisur – und gibt doch nichts preis.
    »Aber warum?«
    »Sie sagen, es könnte Selbstmord sein«, er sieht mich an, und seine dunklen Augen sind schmerzerfüllt , »was natürlich völlig absurd ist.«
    »Natürlich. Natürlich ist es das.« Ich rede viel zu schnell, während Gedanken durch meinen Kopf schwirren wie Motten ums Licht. Sicher nicht? Nein, nicht doch. Sie hatte so viel, und doch … etwas in mir weigert sich, diese Vorstellung sofort zu

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