Seit jenem Tag
Augen. »Das wird großartig werden.«
»Morgen können wir einen richtigen Landspaziergang machen«, meinte Lola. Sie verkörperte eine herzliche Bodenständigkeit und strotzte vor Gesundheit.
»Hab keine richtigen Laufschuhe mitgebracht«, erwiderte Sally blitzschnell.
»Ich muss als Erstes ein paar Stunden arbeiten«, erklärte ich gleichzeitig. Sally sah mich verletzt an. Ich versuchte sie mit einem Lächeln daran zu erinnern, dass ich sie vorgewarnt hatte, weil ich einen Essay schreiben musste. Dieser war für einen Kurs über die Poetik der Renaissance, insgeheim ein Lieblingsgebiet von mir. Wenn ich mich genügend hineinkniete, konnte ein Einser dabei für mich herausspringen.
»Du weißt doch, dass das erste Jahr gar nicht zählt, oder?«, sagte Sally. »Solange du durchkommst.«
Fast hätte ich ihr die Wahrheit erzählt, dass ich es bis zum letzten Tropfen genießen und auskosten wollte und kein Interesse daran hatte, mich einfach nur so durchzumogeln.
»Gib mir wenigstens eine Stunde«, entgegnete ich.
»Sag, ich bin eine jämmerliche Streberin«, forderte sie mich auf, während sie ihr Glas hob und mich tadelnd ansah.
»Ich bin eine jämmerliche Streberin«, sprach ich wie ein Papagei nach, und Sally stieß zufrieden mit mir an.
Es war fürchterlich kalt im Haus, selbst nachdem Lola die antiquierte Heizung angeworfen hatte, und wir inspizierten zähneklappernd die Schlafzimmer. Sally ließ die ihren knirschen, als befänden wir uns auf einer Polarexpedition, und wir mussten alle lachen, was die leicht niedergedrückte Stimmung sofort hob. Lola öffnete die erste Tür, die in einen schlichten, aber gemütlichen kleinen Raum mit Stockbetten an der Wand führte.
»Hier drin haben immer mein Bruder und ich geschlafen«, erklärte sie lächelnd. »Er hat Wasserbomben von oben runterfallen lassen.«
»Hübsch«, sagte ich, aber die beiden anderen waren bereits nach nebenan gegangen. »Und das ist das Elternschlafzimmer«, verkündete Lola und zeigte uns einen Raum, der in der Tat viel beeindruckender war. Ein großes Doppelbett stand darin, der cremefarbene Teppich gab unter den Füßen nach, und das Erkerfenster erlaubte am Morgen bestimmt einen schönen Meerblick. »Ich meine, es gibt keinen Grund, warum ich es haben sollte«, sagte sie und sah Sally dabei an. »Du hast all das Essen gekauft …«
»Ich sag dir was«, kam die blitzschnelle Reaktion von Sally. »Livvy und ich richten uns hier zu zweit ein. Dann hast du ein Zimmer ganz für dich. Dein Kinderzimmer«, ergänzte sie mit einem Lächeln.
Lola überlegte eine Sekunde und schaute mich an. Ich sehnte mich fast nach der Sicherheit einer Stockbettkoje – zu Hause hatte ich nie mit Freundinnen in einem Bett geschlafen, und ich empfand es fast als Übergriff, als könnte es zu etwas führen, was ich nicht mal zu benennen vermochte –, aber irgendwie kam ich mir auch als was Besonderes vor, als hätte Sally mich erwählt. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob es Matt wohl was ausmachen würde, tat diesen Gedanken dann jedoch als lächerlich ab. »Wie du möchtest, Sally.«
Die Sache war abgemacht. Wir gingen zurück nach unten, schoben die Leckereien in den Backofen und rissen die gefütterte Versandtasche voller Videokassetten mit Mädchenfilmen auf, die Sallys Mutter von zu Hause geschickt hatte. Während meiner Jugend hatten solche Filme keine Rolle gespielt – meine intellektuellen Freundinnen und ich hatten für diese Schickimicki-Unterhaltung nur Spott übrig, ich bevorzugte Hitchcock-Filme oder was mit Joan Crawford in einem umwerfenden Morgenmantel –, doch ich gab es nicht zu. Und dumm, wie ich war, gab ich, obwohl ich Pretty Woman noch kein einziges Mal gesehen hatte, vor, mich ebenfalls dafür zu begeistern. Lola, die weitaus praktischer war als wir, kümmerte sich, während Sally das Band einlegte, um ein Feuer im Kamin, und bald schon saßen wir angenehm durchwärmt mit dem Essen auf unseren Knien gebannt vor dem Film. Jetzt brauchte ich Sally nur noch aus dem Augenwinkel heraus zu beobachten, damit ich meine Freudenrufe des Wiedererkennens mit ihren synchronisieren konnte.
»So wird es sein, wenn wir erst mal unsere eigene Wohnung haben«, meinte Lola fröhlich und ließ ihren Arm unter der Wolldecke hervorschnellen, um sich Wein nachzuschenken.
Sally hatte vor Kurzem verkündet, wir drei könnten uns doch im nächsten Jahr ein Haus teilen, eine Idee, auf die Lola sofort angesprungen war. Ich war zögerlicher, hatte
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