Seit jenem Tag
Charlotte begegnet.«
»Charlotte?«
»Ja, diese – diese Kleine« , so wie er das sagt, höre ich in Klammern »absolut heiß« mit, »kam nach unten, und ich fragte sie, ob sie wüsste, wo du bist, und sie – sie sah aus, als würde sie gleich losheulen. Und am Ende gingen wir zusammen was trinken. Wie gesagt, es war verrückt.«
»Du weißt, dass sie verlobt ist?«
»Ja, nein, ja. Das geht in Ordnung«, sagt er wenig überzeugend. Es ist nicht, was er sagt, sondern wie er es sagt. Wenn er sonst über Frauen spricht, tut er das immer ironisch oder lakonisch, als wären es Gestalten in einem Film, aus dem er jederzeit heraustreten kann, wenn er möchte. Jetzt aber hört er sich an, als wäre er auf der anderen Seite der Leinwand gefangen.
»Es kann also nichts daraus werden.«
»Ja, natürlich. Sie ist einfach nett. Ich mochte sie.«
»O tatsächlich?«, erwidere ich, und meine Verärgerung wächst. Unsere Art des Zusammenlebens ist gefährlich, und in Zeiten wie diesen wird mir das wieder bewusst. »Weil ich sie nämlich nicht so nett finde. Und das weißt du.«
»Sie ist womöglich außerhalb der Arbeit ganz anders. Viel lustiger.«
»Kann sein«, sage ich und hasse mich für meine Unaufrichtigkeit.
»Ich muss ins Bett«, sagt er und erhebt sich. Er streckt sich, gähnt, wobei sich sein T-Shirt lässig hebt und seinen durchtrainierten Bauch entblößt. »Es wird alles gut, weißt du, es wird vorübergehen. Und du hast es gut gemacht!«
»Danke«, sage ich und hoffe, dass meine Stimme vermittelt, wie es von mir gemeint ist.
Nachdem er gegangen ist, bleibe ich noch eine Weile sitzen und versuche, nicht wahnsinnig zu werden. In letzter Zeit lässt sich schwer vorhersagen, wie der nächste Tag aussehen wird, bis er schließlich da ist.
März 1996
Sally zerrte Pakete aus ihrer Tragetasche und knallte sie triumphierend auf den Tisch, als wäre sie mit Pfeil und Bogen losgezogen und hätte sie erlegt.
»Brotpudding, Hühnchen-Quesadillas, knusprige Kartoffelschalen, Pizza Margherita, Eiscreme mit Schokochips und kein Salat.«
Mit vor Erregung erhitztem Gesicht hielt sie inne, ehrfürchtig beäugt von Lola und mir. Wir waren Studenten, und Marks & Spencer war ein Luxus, von dem wir nur träumen konnten, Sally aber schien ihn leergekauft zu haben. Es tat jedoch gut zu sehen, dass sie endlich was aß, denn häufig schien sie sich von wenig mehr als einem Roggenknäckebrot mit Frischkäse zu ernähren, doch seit Kurzem schlug das Pendel in die andere Richtung aus, und sie schaufelte alles in sich hinein und wählte für zwischendurch Snacks im Hochkalorienbereich. Sie hatte sogar ein wenig zugenommen – allerdings kannte ich sie zu gut, um es zu erwähnen, obwohl ich fand, dass es gut an ihr aussah. Sie wirkte manchmal viel zu ausgemergelt, zu straff und drahtig.
»Ach ja, und dann noch drei Flaschen Cava und Orangensaft. Das sollte den Vitaminbedarf abdecken.«
Wir waren für ein Mädchenwochenende nach Filey, einem Seestädtchen in Yorkshire, gefahren und kamen uns dabei sehr erwachsen vor. Seit Sally erfahren hatte, dass Lolas Tante dort ein Cottage besaß, hatte sie sich auf diesen Ausflug versteift. In letzter Zeit schienen wir wieder öfter als Trio unterwegs zu sein, denn Sally scheute keine Mühen, Lola einzuladen, wenn wir ausgingen. Ich mochte Lola, mochte sie wirklich – sie hatte so was Solides, eine Vertrauenswürdigkeit, die mir das Gefühl gab zu wissen, woran ich war –, aber mir gefiel es nicht immer, die Dritte im Bunde zu sein. Ich schien die Rolle eines Spürhundes übernommen zu haben, mein ganzes Sein war darauf trainiert, auf die winzigste Bewegung im Gelände zu reagieren: Ständig war ich in Habachtstellung und hielt Ausschau nach der kleinsten Verschiebung der Dynamik zwischen uns oder nach einem von Sallys legendären Stimmungswechsel.
Sally hatte bereits die erste Flasche Cava knallen lassen, obwohl wir noch in unsere Mäntel eingemummelt waren. Sie durchforstete die Küchenschränke und schlug die Türen wie ein Wirbelsturm zu.
»Du musst uns aber daran beteiligen«, sagte ich und dachte besorgt an die gewaltige Rechnung. Sally winkte ab.
»Vergiss es.«
»Wenn du Gläser suchst, weiß ich, wo die sind«, warf Lola in ihrer Rolle als Hausherrin ein. »Warte einen Moment, dann hole ich sie für dich.«
Ich erstarrte, aber Sally ging nicht darauf ein. Sie hatte sie inzwischen gefunden und schenkte jedes randvoll ein.
»Prost, Mädels!«, kreischte sie mit leuchtenden
Weitere Kostenlose Bücher