Seit jenem Tag
Respektlosigkeit. Das würde ich auch William gern mitteilen, aber er ist viel zu abgelenkt, um es zu bemerken, und beobachtet die Szenerie mit fast nervöser Unruhe. Hätte ich mich doch nur weiter vorgewagt und ihm unmissverständlich klargemacht, dass er sich mit seiner Trauer nicht alleinfühlen muss. Ich sehe, dass einige Leute Blicke in unsere Richtung werfen, sich allerdings wieder abwenden, um nicht pflichtschuldig herüberkommen und das Geschehene würdigen zu müssen. Ein paar wagen auch einen zweiten Blick angesichts der Tatsache, dass er mit einer Frau gekommen ist, doch er scheint dies alles nicht mitzubekommen. Er strahlt eine gewisse Unschuld aus, dieselbe Unschuld, die sich weigert, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Sally ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. Und weil er meilenweit davon entfernt ist, an eine andere Frau als seine Gattin zu denken, die er beerdigt hat, bin ich mir auch sicher, dass ihm der Gedanke, jemand könnte eine derart schäbige Schlussfolgerung ziehen, völlig fremd ist.
»Ich hol dir was zu trinken«, sagt er, aber als er sich entfernt, wird er sofort von einer furchterregenden Brünetten in Beschlag genommen, deren Haar mit Haarspray zu einem festen Helm aufgetürmt ist. Sie dürfte etwa mein Alter haben, man erkennt allerdings sofort, dass sie zu den Menschen zählt, die bereits mit ihrer herrischen, forschen Art zur Welt kommen.
»Mein aufrichtiges Beileid, William«, dröhnt sie ihm entgegen. Da ihre Stimme unglaublich tief ist, hätte ich am liebsten losgekichert. Ich könnte in den unangemessensten Situationen losprusten, weil der Druck nach einem Ventil sucht.
»Besten Dank«, erwidert er automatisch. »Und ich möchte mich bei euch beiden auch für die Karte bedanken. Ich weiß das zu schätzen.« Er wirft einen Blick auf mich, doch sie plaudert schon weiter, bevor er uns vorstellen kann.
»Was für ein Schock«, sagt sie. »Ich sagte zu Rory, was wohl schlimmer ist – jemanden leiden zu sehen, allerdings Zeit zu haben, um von ihm Abschied zu nehmen, als ihn derart urplötzlich zu verlieren, aber zu wissen, dass er nicht viel gelitten haben kann?«
»Ich denke nicht, dass ich diese Frage beantworten kann«, entgegnet William monoton, während ich die Luft anhalte angesichts der eklatanten Kaltschnäuzigkeit. Da taucht Rory auf, ein untersetzter, rötlicher Typ mit einer Halbglatze, die er durch energisches Zur-Seite-Kämmen seiner restlichen Haare zu kaschieren sucht.
»Es tut mir so leid«, sagt er und klopft William linkisch auf die Schulter. »Ein solcher Schock.«
»Ja, ja, das war es«, sagt William. »Das ist Olivia, sie war eine gute Freundin von Sally. Sie hat sich während der letzten Monate sehr nett um Madeline und mich gekümmert.«
Das schlecht frisierte Paar dreht sich gleichzeitig um und wird endlich gezwungen, meine Anwesenheit wahrzunehmen, geruht jedoch erst nach einem langen forschenden Blick, mich anzusprechen.
»Ich bin Trixie. Es freut mich, Sie kennenzulernen«, wendet sie sich an mich und lässt ihre Hand vorschnellen, als wollte sie mich angreifen. Sie betrachtet mich mit einem langen Blick von Frau zu Frau und scheint immer mehr Verdacht zu schöpfen.
»Hallo«, sage ich unterwürfig.
»Rory«, fällt Rory mit einem steifen Nicken ein, ehe er mich noch ein wenig intensiver mustert. Er wendet sich wieder an William. »Dann wirst du wohl für ein paar Wochen hier sein? Und wartest ab, bis Gras über die Sache gewachsen ist?«
»Gewissermaßen«, antwortet William und hält einen Kellner fest, um ein paar Gläser von seinem Tablett zu nehmen und mir dann mit zitternder Hand eins zu reichen. Ein paar Wochen? Ich sehe ihn überrascht an, und er nickt kurz, um es zu bestätigen. Mir ist nicht ganz klar, ob ich es gut oder schlecht finden soll. »Wenn ihr uns entschuldigen möchtet, aber ich habe da drüben gerade Graham Fox entdeckt. Ich muss kurz mit ihm sprechen.«
Er wendet sich von ihnen ab, und ich folge ihm, wobei Trixies kleine Knopfaugen sich in meinen Rücken bohren. Eigentlich rechne ich halb damit, dass er kneifen möchte und nach dieser peinlichen grauenhaften Begegnung eine Verschnaufpause braucht, doch wie sich herausstellt, existiert Graham Fox wirklich. Er ist weniger ungehobelt als das Betonfrisurenpaar, allerdings auch nicht wirklich ein lustiger Typ. Auf das Drama von Sallys Tod geht er mit ein paar knappen Sätzen ein, um dann sofort William zu verschiedenen unverständlichen transatlantischen
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