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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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kennengelernt habe, würde ich bestimmt losheulen, und auf elterlichen Rat in Liebesdingen von einem Vater, der keine Beziehung mehr hatte, seit John Major das Land regiert hat, kann ich gut verzichten. Stattdessen lassen wir Jules’ iPhone herumgehen und sehen uns die Filmchen an, die sie von Nathaniel aufgenommen hat, wobei Dad über diese Technologie nur staunen kann. Eine Videokamera wäre eine viel zu extravagante Anschaffung für die Familie Berrington gewesen, weshalb von Jules und mir nur Bilder von besonderen Anlässen wie unserer Einschulung existieren, die gerahmt an der Küchenwand hängen, ich mit Zahnlücken im vorspringenden Gebiss, Jules mit struppiger blonder Topffrisur. Arme Madeline, sage ich mir mit Blick darauf. Wie viel leichter hat man es doch, wenn man weiß, dass es da noch jemanden gibt, der etwa gleich groß ist, selbst wenn einem das beim gegenseitigen An-den-Haaren-Ziehen oder wenn man sich im Schlafzimmer verbarrikadiert, nicht bewusst ist.
    Wir geben uns alle Mühe, dem Ziegelstein zu Leibe zu rücken, wobei Dad ständig die Uhr im Auge behält.
    »Wir sollten uns jetzt wirklich auf den Weg machen«, meint er schließlich mit einem dauerhaft enttäuschten Blick auf unsere nicht leer gegessenen Teller.
    »Das war nett von dir«, sage ich und würde am liebsten um den Tisch herumgehen und ihn wieder fröhlich stimmen. Seit er in Pension ist, scheinen die kleinen Unwägbarkeiten des Lebens noch mehr an Bedeutung gewonnen zu haben. Er hat die Schulungsabteilung der Kommune geleitet, wo er seine pusselige Genauigkeit ausleben und genügend Leute herumkommandieren konnte – jetzt hat er nur noch uns.
    »Du hast deinen Wein nicht ausgetrunken, Julia.«
    »Ach, du weiß doch, dass ich stille! Ich möchte nicht, dass Nathaniel auf den Geschmack kommt.«
    Er wuselt davon, um unsere Mäntel zu holen, und reicht sie uns, während er in seine Windjacke schlüpft.
    »Wie geht’s eurer Mutter?«, fragt er beiläufig, den Blick auf den Reißverschluss gerichtet.
    »Gut«, sagen wir im Chor, ein wenig vorschnell.
    »Gut, gut.«
    »Sie macht jetzt Zumba«, ergänzt Jules. »Das ist so eine Art Tanzgymnastik«, erklärt sie, als sie seinen ratlosen Blick sieht.
    Ist es gut oder schlecht, weiter ins Detail zu gehen? Er wirkt nun noch geknickter, aber hätten wir es bei dem »gut« bewenden lassen, wäre das womöglich als Hinweis darauf missverstanden worden, dass sie mit einem italienischen Grafen und Multimillionär durchgebrannt ist, was wir aber nicht übers Herz bringen, ihm zu sagen.
    »Sie hat sich immer gern bewegt«, sagt er und wackelt dabei mit seinen Hüften.
    Der Konzertsaal ist gute fünfzehn Minuten entfernt, aber Dad besteht trotz unsere Proteste wegen des Regenwetters darauf, dass wir zu Fuß gehen (»nun stellt euch nicht so an!«). Äußerst knapp erreichen wir den zugigen Gemeindesaal, das Foyer ist bis auf eine rotgesichtige Frau leer, die uns mit einer Handvoll Tickets zuwinkt, als wär’s eine Fußballrassel. Krauses graues Haar wächst wild und von keinem Stylingprodukt gezähmt auf ihrem Schädel, sie trägt ein zeltartiges Kleid, dazu ein Paar flache rote Jesuslatschen, die in harter Konkurrenz zu Dads Crocs stehen. Da ich normalerweise von Frauen umgeben bin, die das Alter bekämpfen, als wäre es so tödlich wie Nervengas, hat es was Erfrischendes, jemanden zu sehen, der sich darauf bedenkenlos einlässt.
    »Danke, Margery«, sagt Dad und reißt sie ihr aus der Hand. »Ich muss mich entschuldigen: Die Mädels haben sich verspätet.«
    Befänden wir uns in der Steinzeit und das Auto müsste erst noch erfunden werden, hätte ich Mitleid mit ihm – die Worte liegen mir bereits auf der Zunge, doch Jules rempelt mich an. Sie hat recht: Ich sollte meine schlechte Laune nicht an ihm auslassen.
    »Hallo!«, begrüßt uns Margery und lässt ihren Blick zwischen uns beiden hin- und herwandern. Ihre Nervosität ist mit Händen zu greifen. »Wir haben keine Zeit zum Plaudern, es geht los.« Sie drängt uns wie ein großer flügelschlagender Vogel mit ihrem Körper in den Saal. Eine bunt gemischte Gruppe von Amateurmusikern »stimmt« die Instrumente: entweder das, oder ein Schwadron Katzen wird stranguliert. Sie lässt sich auf den Sitz neben mir fallen und kommt mir unangenehm nah.
    »Nun, Livvy, Ihr Vater erzählt mir, dass Sie beruflich etwas sehr Aufregendes machen!«, sagt sie. Ich versuche im rauen Flüsterton meinen Job zu erklären, aber es kommt ziemlich lächerlich rüber,

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