Seit jenem Tag
er nicht da war? Falls nicht, war dieser Überfall ziemlich riskant. Aber, überlegte ich voller Gewissensbisse, sie war von mir ausreichend informiert, um zu wissen, dass er kein großer Freund von Sex am Morgen war. »Danke, Sally.« Mir wurde warm ums Herz, wenn ich daran dachte, wie viel Mühe sie sich gegeben hatte.
»Das ist erst der Anfang«, entgegnete sie aufgeregt. »Na los, mach dein Geschenk auf.«
Ich setzte mich auf, riss das Papier auf und zog einen Seidenbody mit weichen geformten Schalen heraus, der im Schritt mit Druckknöpfen versehen war. Er war nur von Marks & Spencer, doch für mich sah er sehr verführerisch aus.
»Danke!«, sagte ich und versuchte mir vorzustellen, wie Matt darauf reagieren würde. Um die Wirkung voll auszukosten, würde er das Licht anlassen müssen. Ich hielt ihn an mich dran und genoss es, das glatte Material zu spüren. Das war meine neue Persönlichkeit, neunzehn Jahre alt und zu allem bereit.
»Darin wirst du wie ein richtiges Luder aussehen«, meinte sie und ließ sich aufs Bettende fallen und schenkte Kaffee ein. Mein Blick fiel auf den kleinen Stapel Karten, die ich sorgfältig aufbewahrt hatte, um sie erst heute zu öffnen.
»Soll ich dir den anreichen?«, bot Sally an. Von meinem Dad bekam ich einen Büchergutschein über vierzig Pfund, von meiner Mum eine Brosche, die ich, wie ich wusste, nie tragen würde, und eine große hellrosa Karte von Jules mit zwei kleinen Mädchen, die auf einer Schaukel sitzen. Darauf stand: Für die außerordentlichste Schwester der Welt .
»Was ist das denn?«, staunte Sally und nahm sie mit den Spitzen ihrer rot lackierten Fingernägel, als wäre sie radioaktiv verseucht.
»Ach, Jules und ich haben uns darauf eingeschossen, einander immer die kitschigste Karte zu schicken, die wir finden können.« Ich las inzwischen das innen abgedruckte haarsträubende Gedicht, in dem sich unbeholfen »Schwester« auf »nicht vergesse« reimte, aber ich war zu befangen, um zu lachen. Nun war ich auf den Grund des Stapels vorgedrungen. Von zu Hause kam nur noch eine Karte, geschickt von meiner – ich konnte sie nun nicht mehr als meine beste Freundin bezeichnen, wie mir klar wurde, das hätte nicht den Tatsachen entsprochen – alten besten Freundin Sara, die in Cambridge Biologie studierte. Beim Anblick ihrer ordentlichen gerundeten Vokale, die mir vom vielen gemeinsamen Lernen so vertraut waren, bekam ich sofort ein schlechtes Gewissen, sie so vernachlässigt und meine Besuchsversprechen nicht eingehalten zu haben. Cambridge schien so weit weg zu sein, so bedeutungslos. Ein wenig atemlos betrachtete ich die verstreuten Karten. Keine von James. Er ist ein Junge, sagte ich mir, Jungs denken nie an solche Dinge, obwohl er meinen Geburtstag im vergangenen Jahr nicht vergessen und sogar einen Tagesausflug nach Brighton geplant hatte.
»Ist was?«, fragte Sally, der mein nachdenklicher Gesichtsausdruck auffiel. Ich stand kurz davor, es ihr zu erzählen, dachte dann jedoch an Matt und ließ es sein.
»Nein, nichts.« Ich umarmte sie. »Danke schön!«
»Dann werde ich dich zum Mittagessen in der Stadt ausführen«, sagte sie und grinste aufgeregt. »Browns oder so. Du musst dich an deinem Geburtstag richtig verwöhnen lassen.«
»Das ist so lieb von dir«, rief ich. Ich genoss dieses Gefühl, das so ganz anders war als die liebevolle Geschäftigkeit, mit der Geburtstage in meiner Familie gefeiert wurden. »Aber du hast mir schon dieses reizende Frühstück serviert, und ich treffe mich um zehn Uhr mit Matt. Ich werde keine Zeit haben.«
»Dann gibt es ein flüssiges Mittagessen!«
Ich grinste zurück, weil ihre Fröhlichkeit einfach ansteckend war. Wie so oft war ich hin- und hergerissen. Nichts wäre mir lieber gewesen, als mich von ihrem Wirbelwind funkelnder Pläne mitreißen zu lassen, ich durfte dabei allerdings nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass ich einen mir tief ergebenen Freund hatte, der womöglich seine eigene Vorstellung davon hatte, wie wir diesen Tag verbrachten.
»Ich werde wohl improvisieren müssen«, sagte ich, sah dann aber, wie sich unvermittelt Zornesröte über Sallys Gesicht ausbreitete. Wenn ich eins inzwischen gelernt hatte, dann, dass sie es hasste, ihre Pläne vereitelt zu sehen: Man musste jede Verweigerung reizvoll verpacken, etwa wie man für ein Kleinkind die Zucchini mit Kartoffelbrei tarnt. »Es wird bestimmt wunderschön werden! Du kennst doch Matt«, sagte ich und verdrehte verräterisch die
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