Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
kullern über meine Wangen. Mum tupft sie mit einer Serviette ab, bevor sie mir diese gibt, und für einen kurzen Moment fühle ich mich wie eine Sechsjährige. Und es ist so ein schönes Gefühl, sechs zu sein, ein schönes Gefühl, dass ich mir über nichts Sorgen zu machen brauche, es keine Bedrohung gibt, die so groß wäre, dass meine Eltern nicht mit ihr fertig würden. Vielleicht erklärt das meine Angst vor der Mutterschaft, denn egal wie sehr man den Anschein erwecken muss , es anständig hinzukriegen, man ist nicht wirklich unbesiegbar. Aber vielleicht, vielleicht ist das ja in Ordnung so. Vielleicht ist gut genug wirklich gut genug.
»Ich wusste nicht, was ich tun sollte«, sage ich schluchzend. »Ich hatte keine Ahnung, was das Richtige war. Ich hatte keine Wahl.«
»Und ich wollte dich auch vor keine Wahl stellen«, sagt Mum, und ihr Gesicht spiegelt Mitgefühl und Bedauern gleichermaßen wider. Sie nimmt meine Hand. »Ich wünschte, ich könnte es wiedergutmachen bei dir. Ich könnte es, Amber, wenn ich es aus der Welt schaffen könnte …«
»Wieso jetzt, Mum, warum sprechen wir jetzt darüber?«
»Ich habe dich während des letzten Jahres beobachtet, wie du dich im Kreis gedreht und versucht hast, dem Ganzen einen Sinn zu geben.« Ich schaue zu ihr hoch, verblüfft, wie treffend diese Beschreibung ist. Eine Zeitlang hatte ich das Gefühl, von einer Zentrifugalkraft angetrieben zu werden, die sich meiner Kontrolle entzog. »Es war ganz schrecklich für mich, dass es« – sie muss sich sammeln – »eine, eine Affäre war, die deine Ehe beendet hat.«
»Warum hast du das nicht gesagt?«, frage ich, wohl wissend, wie schrill meine Stimme klingt. Ein Paar hinter uns dreht sich um und sieht mein verheultes Gesicht.
»Du warst für mich nicht erreichbar!«, sagt sie leidenschaftlich. »Ich wollte dir das nicht aufbürden. Ich weiß, dass du mich für eine schreckliche Mutter hältst, und das war ich wahrscheinlich auch, also ist es mein Fehler. Aber ich ging davon aus, dass es dir nicht recht gewesen wäre, wenn ich mich eingemischt hätte, und außerdem lässt sich so etwas nicht am Telefon besprechen. Das ist der Grund.« Auch ihr kommen jetzt die Tränen. Ich glaube, ich habe sie seit jenem fürchterlichen Tag, als ich sie wegen ihrer Affäre zur Rede stellte, nicht mehr weinen sehen. »Das ist der Grund, weshalb ich so froh bin, dass du nach Hause gekommen bist.«
Dann weinen wir beide einvernehmlich, wie eine Selbsthilfegruppe nach der Schönheitsbehandlung. Ich überlege kurz, lauthals »meine Nägel, meine wu-underschönen Nägel« zu jammern, besinne mich dann allerdings eines Besseren.
»Das ist albern«, sagt Mum und reißt sich zusammen. »Lass uns nach Hause fahren.«
Dad kocht ein 7-Gänge-Menü, für das ein ganzes Wildgehege herhalten muss, doch er unterbricht seine Arbeit, als er uns sieht.
»Ist er so schlimm?«, fragt er.
»Es geht nicht um Oscar«, sage ich. »Ich habe übrigens mit ihm Schluss gemacht.«
»Verflixt!«, sagt Dad. »Ich kann nicht behaupten, dass ich enttäuscht bin. Ralph meinte, er sei ein Blender und so.«
»Also, er hätte nicht …«, setze ich an, lasse es dann aber sein. Irgendwie ist er es, doch man kann ihn nicht darauf reduzieren. Ich kann darüber im Moment nicht nachdenken – mein winziges fiebriges Gehirn würde implodieren.
»Ich denke, wir können jetzt alle eine Tasse Tee vertragen«, sagt Mum und lässt sich in einen Stuhl fallen.
Vom Tee gehen wir zum Wein über und sitzen zu dritt um den Küchentisch, bis sich die Dämmerung herabsenkt. Ich glaube nicht – streichen Sie’s –, ich weiß, dass ich mit meinen Eltern noch nie so gesprochen habe wie heute.
»Die Sache ist die«, sagt Dad, »wir haben es total verbockt. Wir hatten solche Schuldgefühle, dich da mit hineingezogen zu haben, dass wir versuchten, dich zu beschützen, aber der Schaden war bereits angerichtet. Und du warst alleingelassen und konntest nur vermuten, was vor sich ging.«
Ich sehe Mum an, doch von der Feindseligkeit, die ich für sie empfand, ist nur noch ein Bruchteil vorhanden. Sie ist noch immer lebendig, die Anklage ist noch nicht ganz zurückgenommen. Sie erwidert meinen Blick und hält ihn fest.
»Du fragst dich noch immer, wieso ich das hatte tun können.«
Ich nicke knapp. »Ich erinnere mich noch genau, wie deprimiert Dad war, dass nichts ihn mehr zum Lachen brachte. Es war ein unerträglicher Anblick für mich«, sage ich und greife schluchzend nach
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