Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
erkennen. »Ach, machen Sie doch, was Sie wollen«, schnauze ich und zwänge mich an ihm vorbei in die Küche.
Ich bin mir bewusst, dass Joe heute meinen Anweisungen widersprechen und wegen meiner geheimnisvollen Abwesenheit viel Wind machen wird, und kehre deswegen die Furchterregende heraus. Immer wieder vergesse ich, zu necken und zu schmeicheln, weil mich die Freude auf den romantischen Abend überwältigt, den Oscar für uns geplant hat. Was soll ich anziehen? Im Geiste gehe ich meinen Kleiderschrank durch und schäme mich schon jetzt wegen der Kaufhausschnäppchen, die dort auf mich warten. Ein unwillkommenes Auftreten von Lydia, gefolgt von Böööser Daaad, verstärkt meine Besorgnis. Sie trägt ein perfekt geschnittenes scharlachrotes Wickelkleid, dazu Schuhe mit Wolkenkratzerabsätzen. Selbst wenn ich das Geld dazu hätte , würde mir das natürliche Stilempfinden fehlen, das Frauen wie sie ganz mühelos an den Tag legen. Als ich sie auf Oscars Büro zuschreiten sehe, als liefe sie über die Laufstege von Mailand, verlässt mich meine schelmische Freude. Bisher hatte ich mir keine großen Gedanken über die Bedeutung des heutigen Abends gemacht, der Tatsache nämlich, dass wir uns damit aus der Glasglocke herausbewegten, in der wir uns eingerichtet hatten und in der wir immun gegen die schmutzige Lebenswirklichkeit jenseits des Ghusto waren. Die Frau, die für Oscar infrage kam, war eine Frau mit perfektem Auftreten, eine Frau, die man sowohl zum Cartier Polo als auch zur Gartenparty der Queen mitnehmen konnte. Wie konnte ich mit meinen eingerissenen Fingernägeln und brüchigen Haarspitzen etwas anderes als eine Affäre sein? Selbst wenn ihm dies bis jetzt noch nicht bewusst geworden sein sollte, wird ihm, wie ich fürchte, die Lust sicherlich vergehen, wenn er mich erst mal außerhalb der Kuschelecke Küche erlebt. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich das aushalte. Es ist der joie de vivre eines Mädchens nicht zuträglich.
Mein Telefon hat einen weiteren verpassten Anruf von Ralph registriert, den vierten in dieser Woche. Ich weiß, ich bin eine schlechte Schwester und eine schlechte Tochter und eine schlechte Freundin dazu, aber ich kann mich jetzt nicht mit der unvermeidlichen Lektion befassen, die mein Verhältnis zum Chef zum Thema haben wird. Ich hatte gehofft, ihn mir mit meiner Dankeschön- SMS vom Hals geschafft zu haben, aber da ich weiß, wie hartnäckig er ist, sollte ich ihn vielleicht doch lieber anrufen, bevor er mich zur Strafe bei Mum und Dad verpetzt. Er geht nach ein paar Klingeltönen dran, Frank brabbelt im Hintergrund fließend moldawisch.
»Das hat ja verdammt lang gedauert«, sagt er erschöpft.
»Du sollst vor Frank nicht fluchen«, sage ich. »Was heißt verdammt eigentlich auf Moldawisch?«
»Mumpfgrumpf, glaube ich. Egal, hör zu, ich muss mit dir reden.«
»Lass mich raten, vögle nicht deinen Boss, Blabla. Es ist noch viel zu früh für eine neue Beziehung, Blabla, geschweige denn mit ihm und so weiter und so weiter. Ich weiß, und ich weiß auch, dass du das sagst, weil du dir Sorgen machst, aber ich brauche nicht zu allem einen großen Bruder.«
»Amber …«
»Und bitte erzähl es nicht Mum und Dad. Es wäre mir unerträglich, wenn Mum mich jetzt nicht nur als Geschiedene sieht, sondern auch noch für eine Schlampe hält.«
»Hör auf zu quatschen, Amber! Ich muss dir was sagen.«
Einen kurzen Moment lang wird mir flau im Magen. Was ist, wenn Dad Krebs hat und ich das nicht mitgekriegt habe, weil ich zu beschäftigt war, um meine Anrufe abzuhören?
»Was ist denn?«, frage ich ängstlich.
»Der Artikel, den Beth gelesen hat …«
»Ja, die Kritik. Man kann den Mann doch nicht ins Gefängnis werfen, nur wegen einer mittelmäßigen Kritik.«
»Das war es nicht«, sagt er nüchtern. »Es war ein Artikel in The Times . Ich habe ihn hier.« Er liest ihn mir vor, und als die Worte bei mir ankommen, fällt alles in mir zusammen. »›Oscar Retford hat sein Ziel erreicht und thront nun in seinem aufgemotzten Innereien-Fresslokal Ghusto, nachdem er seiner kometenhaften Laufbahn in Angus Torrences Violet ein Ende gesetzt hat. Aber ist er gegangen oder wurde er gegangen? Retford deutete an, er habe mit Torrence um seine Freiheit kämpfen müssen, allerdings gibt es auch Stimmen, die behaupten, seine Vorliebe für die weiblichen Mitarbeiter sei nicht mehr länger tragbar gewesen.‹«
Mir ist speiübel, und die Freude, die ich heute Morgen verspürt habe, ist nur noch
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