Sekunde der Wahrheit
das leichte Vibrieren ihres Wagens bei dieser Geschwindigkeit, aber sie hörte nichts. Das Dröhnen des Motors war ausgeblendet. Die ganze Welt um sie herum bewegte sich noch, lag aber in tiefem Schweigen. Es war wie ein alter Film im Fernsehen aus der Stummfilmzeit, bei dem die Klavierbegleitung fehlte. Und nichts, was sie sah, schien eine Bedeutung oder einen Bezug zu ihr zu haben. Es war, als ziehe sie wie eine Wolke durch eine Geisterwelt.
Aber sie fürchtete sich nicht. Ihr war die gespenstische Stille sogar lieb. Sie war schon so oft in sie hineingetaucht – in den letzten Jahren noch häufiger –, daß sie alle Schrecken verloren hatte. Es gab keine Panik mehr, sondern einen beruhigenden Frieden. Seltsam war es noch immer, sehr seltsam, aber sie überließ sich willenlos dieser Losgelöstheit.
Hier wenigstens bedrängten sie keine lebhaften und quälenden Erinnerungen. Und die andere Kimberley, deren Stimme sie verabscheute, drang nicht in diese Welt.
Durch die Geschwindigkeit des Wagens eingelullt, hypnotisiert von den vorüberhuschenden Autos und dem Zittern der verschiedenen Instrumentennadeln, durch die vorbeiziehenden grünen Wiesen und Bäume gab sie sich ganz dem Gefühl des Schwebens im Niemandsland hin. Wie gelähmt genoß sie die süße Harmonie, in der kein Platz für Konflikte und Entscheidungen war.
Wohin fuhr sie? Selbst darauf kam es jetzt nicht an.
Ihre Kopfschmerzen waren verschwunden. Hatte ihr der Kopf weh getan? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Und sie wollte es auch nicht.
Owen hatte die fünfundfünfzigtausend Dollar bezahlt und erklärt, daß es nur eine Anzahlung war, und nachdem er erläutert hatte, was nun geschehen sollte, und ehe er sich noch nach dem Preis erkundigen konnte, hatte Miß Bette sich den Luxus eines mädchenhaften Zurückschauderns geleistet, obgleich in ihren Adern Eiswasser statt Blut floß. »Gräßlich. Ihnen ist dabei klar, daß Sie diesmal nicht von einem Pferd, sondern von einem Menschen reden. Und da liegt die Sache anders.«
»Das ist mir klar«, sagte Owen und wartete.
Es kam ihm immer noch unwahrscheinlich vor, auf einer Parkbank neben einem Mädchen in einem duftigen Folklorekleid zu sitzen, das so unschuldig und frisch wie ein Kind vom Land aussah, und mit ihm über Gewalttätigkeiten zu reden. Auf der gegenüberliegenden Bank unterhielten sich zwei Collegetypen: die zwei jungen Männer, die ihn in der Nacht des Brandes mit Hilfe eines Revolvers zu ihrer Chefin gebracht hatte. Sie schienen sich weder für Miß Bette noch für ihn zu interessieren. Aber sie saßen da mit freundlicher Miene und der Figur von Rugbyspielern.
Schließlich sagte Miß Bette mit unverändert liebenswürdiger Stimme:
»Es ist unser Geschäft, anderen Leuten einen Gefallen zu tun, und da schrecken wir vor nichts zurück, wenn der Preis stimmt.«
Sollte er jetzt fragen, wieviel?
»Wenn Sie schon unbedingt gewinnen wollen«, fuhr sie ungeniert fort, »dann könnte es doch noch einfachere und weniger kostspielige Methoden geben?«
»Meinen Sie Drogen?«
»Ich habe irgendwo gelesen, daß es neue Mittel gibt, die kaum zu entdecken sind.« Sie lächelte süß. »Nicht, daß ich mir das Geschäft entgehen lassen will.«
»Es gibt ein Mittel, Sentanyl, das nur durch neu entwickelte und wenig bekannte Tests im Blut eines Pferdes nachgewiesen werden kann. Aber das ist riskant, denn wenn die Droge nachgewiesen wird, ist das Rennen verloren, gleich, ob man gewonnen hat, oder nicht. Man verliert außerdem die Trainerlizenz, und in Kalifornien, wo es einige Trainer versucht haben, zog es eine Anklage nach sich.«
»Halten Sie Ihren Vorschlag für sicherer?«
Owen zuckte mit den Achseln, zog den Stetson in die Stirn und gab sich entspannt. »Es ist so oder so ein Glücksspiel.« Wie lang schon war es her, daß er etwas wirklich locker angehen lassen konnte? Wenn er das hinter sich hatte, vielleicht …
»Für Sie ist es möglicherweise ein Glücksspiel«, erinnerte ihn Miß Bette. »Nicht für uns. Wir haben uns vor unseren Oberen zu verantworten. Wir können es uns nicht leisten, erwischt zu werden, und unser Preis muß unsere Risiken mit Sicherheit decken.«
Verdammter Mist, die Dame ging ihm auf den Wecker. »Sie haben nicht viel zu riskieren.«
»Quatsch. Das bestimme ich.«
»Nun?«
»Sie sind ein bißchen nervös, was? Das sollte man sich aber nicht gestatten.«
»Wieviel? Bitte!«
»Ich denke nach. Wenn das herauskommt, und ich sehe keine Möglichkeit,
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