Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
bringen zu müssen. Kerstin wusste, dass er bestimmt längst mitbekommen hatte, was vor sich ging. Es hatte keinen Sinn mehr, die Zähne zusammenzubeißen und den natürlichen Verlauf aufhalten zu wollen. Sie setzte sich ganz vorn auf die Kante der Pritsche und spreizte die Beine. Schnell hielt sie diese Position nicht mehr aus, setzte sich auf den Boden, winkelte die Beine an. Der Schmerz im Bereich des Steißes war unerträglich. Sie rollte sich seitwärts auf, ging in die Hocke, kauerte eine Weile so am Boden. Sie fasste nach der Pritsche, zog sich daran hoch, ging wieder ein paar Schritte durch die Zelle. Sie keuchte, als sie spürte, wie die nächste Wehe an Kraft gewann. So rasch es ihr möglich war, legte sie sich wieder auf die Pritsche, spreizte ihre Beine. Ein Gefühl sagte ihr, dass es noch zu früh zum Pressen war, obwohl sie es wollte. Kraft sammeln, atmen, befahl sie sich. Die Wehe wurde noch stärker. Kerstin war kurz davor, ohnmächtig zu werden. Sie presste, so fest sie konnte, bäumte ihren Oberkörper auf. Ihr Kopf schien platzen zu wollen. Noch immer hielt die Wehe an. Sie kreischte auf, brüllte vor Schmerz. Die Wehe erreichte ihren Höhepunkt, wurde schwächer, ließ weiter nach, endete. Kerstin sank auf der Pritsche zusammen. Ihre Atmung ging flach, ihr wurde schwindelig. Sie schlug die Augen auf und sah an die Decke, die sie schon seit Wochen anstarrte. Sie schien sich zu bewegen, drehte sich im Kreis. Ihre Gedanken schwanden. Sie konnte nicht überleben. Das hier schaffte sie nicht.
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»Dieser Lackaffe vom Jugendamt kann mich mal kreuzweise!« Falko schnaubte vor Wut. »Weißt du, was der mir indirekt unterstellt hat? Dass wir nur deshalb ermitteln wollen, weil wir eine Vorverurteilung ehemals auffällig gewordener Jugendlicher betreiben. Ich musste mich schwer zusammennehmen, den nicht so zu beleidigen, dass es etwas nach sich gezogen hätte.«
»So ein blödsinniger Quatsch«, pflichtete Timo ihm bei, der soeben in Falkos Büro gekommen war. »Vorverurteilung! Irgendwo werden Frauen gefangen gehalten, gefoltert und kämpfen um ihr Leben. Und er möchte da nicht mit reingezogen werden, weil es ein schlechtes Licht auf seine Behörde werfen könnte? So einer sollte sich mal überlegen, ob er immer noch so denken würde, wenn seine Tochter Krankenschwester und irgendwo mit Fäkalien vollgestopft aufgefunden worden wäre.«
»Er hat mir versichert, sich den alten Vorgang Rebecca Wagner rauszusuchen und nachzuprüfen, wie der Junge hieß, der damals im Verdacht stand, sie geschwängert zu haben.«
»Und, hat er auch gesagt, wie lange er dafür brauchen würde?« Rolf, der die ganze Zeit in Falkos Büro geblieben war, schüttelte unverständig den Kopf.
»Aber ich bitte dich, so etwas kann man doch gar nicht absehen«, spottete Falko. »Der hat bestimmt ganz viel damit zu tun, Akten auf seinem Schreibtisch von links nach rechts zu schieben. Sich da auch noch um so etwas zu kümmern, würde bei dem ja richtig Stress auslösen.«
»Ich rufe die Tetzke noch mal an«, entschied Kramer. »Vielleicht fällt ihr der Name von dem Kerl ja doch noch wieder ein, oder sie erinnert sich an die Einrichtung, in die er gekommen ist, wenigstens den Ort.«
»Ja, versuch’s. Und ansonsten soll sie dir alle Jugendeinrichtungen nennen, die damals infrage gekommen waren. Wir dürfen einfach keine Zeit mehr verlieren.«
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»Was tust du da?« Es klang streng.
»Du bist da! Ein Glück. Bitte, hilf mir.« Kerstin bemühte sich nach Kräften, freundlich mit ihm zu sprechen. Doch sie konnte sich während der Wehen kaum zusammenreißen.
Er sperrte die Zelle auf.
Sie hatte panische Angst, dass schon bald die nächste Wehe käme und sie dann nicht mehr in der Lage sein würde, ihn zu überzeugen. Krampfhaft bemühte sie sich um ein Lächeln. »Das Baby hat dein Urteil gehört, dass ich eine gute Mutter sein werde. Jetzt will es kommen.«
Er schien verstört. In dem diffusen Licht meinte Kerstin zu erkennen, dass seine Augen wild nach einem festen Punkt suchten.
»Kannst du Decken holen? Und Nicole? Sie soll mir helfen.«
»Nein! Sie hat das schon mal gemacht. Und obwohl ich gesagt habe, dass die Frau und ihr Kind leben dürfen, sind sie gestorben.«
»Ich weiß. Sie hat einen Fehler gemacht. Dieses Mal macht sie es richtig. Bitte«, flehte sie.
»Nein.«
Panik stieg in Kerstin auf. Die nächste Wehe bahnte sich an.
»Dann musst du mir helfen.«
»Nein.« Er trat einen Schritt zurück, sah sie kurz
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