Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
ausbezahlt«, stellte er klar. »Ich werde auf der Couch im Büro schlafen. Dann kannst du das Schlafzimmer behalten.«
»Ich kann nicht fassen, dass du es nicht einmal versuchen willst«, sagte sie leise.
»Tja, wir scheinen uns beide nicht zu kennen«, sagte er resignierend und ging ins Bad. Zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich befreit. Während er unter der Dusche stand, überlegte er, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn Heike das Haus behalten wollte. Genug Geld, um ihn auszuzahlen, würde sie haben. Er schob den Gedanken weg. Sie würde ihm schon sagen, was sie für Vorstellungen hatte. Ohne dass er es darauf angelegt hatte, kam das Gefühl in ihm auf, in dieser Sache den Sieg davongetragen zu haben. Jedoch für einen viel zu hohen Preis.
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Kerstin hatte gehört, wie er gestern am späten Abend eine neue Frau in die Zelle gestoßen hatte, in der zuvor Nicole gewesen war. Nicole. Immer wieder musste Kerstin an sie denken, sah ihr Gesicht vor sich, wenn sie einschlief. Sie fühlte sich schuldig. Hätte sie vor der Kamera anders, überlegter reagiert, vielleicht würde Nicole dann noch am Leben sein. Er hatte sie getötet und Kerstin zum Geschenk gemacht, zur Geburt ihres Sohnes. Ganz gleich, ob sie dieser Hölle eines Tages wieder entrinnen würde, den Gedanken an Nicole und die Schuld, die Kerstin auf sich geladen hatte, würde sie niemals vergessen. »Verhalt dich ja ruhig! Nebenan ist eine gute Mutter mit ihrem Kind. Wag es ja nicht, sie zu stören. Kein Wort, oder du wirst es bereuen!«, hatte sie ihn zischen hören, als er die Tür ins Schloss krachen ließ und absperrte. Dann war er gegangen und erst heute wieder zurückgekommen. Es war eigenartig zu sehen, mit welch liebevoller Sorgfalt er alles tat, damit es dem Säugling an nichts fehlte. Er bat Kerstin sogar, ihn einmal halten zu dürfen. Erst war sie ängstlich einen Schritt zurückgewichen. Doch dann hielt sie es für besser, seinem Wunsch zu entsprechen. Sie wollte alles tun, um lebend aus der Sache herauszukommen. Und wenn er ihr und dem Kind etwas antun wollte, würde er es so oder so tun. Also war es klüger, zu lächeln und ihm zu zeigen, wie er das Kind richtig hielt.
Er wiegte den Jungen in seinen Armen, hielt ihm einen Finger hin, nach dem der Kleine griff, redete liebevoll auf ihn ein. Als Kerstin ihn bat, ihr nun ihr Kind zurückzugeben, zögerte er keinen Augenblick, ihrer Bitte Folge zu leisten. Es schien ihr, als sei er ruhiger geworden, seit ihr Sohn auf der Welt war. Er sorgte öfter als sonst dafür, dass sie frisches Essen bekam und ließ ihr sogar ausreichend Mineralwasser stehen, das er sofort austauschte, sobald die Flaschen leer waren. Wenn es so weiterginge, so hoffte Kerstin, würde sie sich mehr und mehr sein Vertrauen verdienen und eines Tages die Gelegenheit zur Flucht bekommen.
»Hast du alles?«, fragte er in fürsorglichem Ton. »Ich muss jetzt arbeiten gehen.«
»Ja, danke.«
Er lächelte sie durch die Gitterstäbe hindurch an.
»Obwohl, eine Sache gäbe es da.«
»Welche?«
»Für Kinder ist es gut, die Stimme der Mutter so oft wie möglich zu hören. Das gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Da du aber nicht möchtest, dass wir sprechen, habe ich es bisher nicht gemacht. Wäre es in Ordnung, eine Zeit zu vereinbaren, in der ich reden darf?«
»Worüber?«
»Belangloses. Das Wetter, Kleidung. Aber auch Wichtiges. Das Muttersein.«
Seine Augen wanderten unruhig hin und her. »Eine Stunde«, entschied er.
»Aber ich habe keine Uhr.«
Er schien zu überlegen. Dann zuckte er mit den Schultern und ging. Kerstin setzte sich mit ihrem Sohn wieder auf die Pritsche. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hatte einen Triumph errungen. Sie hatte ihn wieder dazu gebracht, seine Regeln zu lockern. Sie würde hier rauskommen, das wusste sie genau.
Kerstin beobachtete mit zärtlichen Gefühlen ihren Sohn, der zufrieden schlummernd in ihren Armen lag. Vorsichtig legte sie ihn auf die Pritsche, hüllte ihn ein und ging zur Tür.
»Mein Name ist Kerstin. Wie heißt du?«
Sie erhielt keine Antwort.
»Wir dürfen eine Stunde am Tag sprechen. Er hat es erlaubt.«
Wieder geschah nichts.
»Lena«, kam es dann flüsternd aus der anderen Zelle. »Lena Rother.«
Kerstin schloss die Augen. Es tat so gut, endlich wieder mit jemandem sprechen zu dürfen.
»In welchem Monat bist du, Lena?«
»Im neunten.«
Kerstin schloss kurz die Augen. Es blieb also nicht viel Zeit bis zur Geburt.
»Hast du dein Kind
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