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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Freiburg gefiel mir von Anfang an, ich mochte die Menschen und die umgebende Landschaft, den Schwarzwald. Um mein Zimmer zu finanzieren, jobbte ich als Kellnerin ; ich genoss meine Freiheit, das eigenständige Leben. Luise, eine liebe Hamburger Freundin von mir, wohnte ebenfalls in Freiburg, sie war Pianistin und studierte dort Musik. Gemeinsam lernten wir andere junge Leute kennen, es war eine schöne Zeit.
    Während meines Freiburger Studiums machte ich auch eine erste entscheidende berufliche Erfahrung: Ich absolvierte ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei, die von drei Frauen geleitet wurde. Das Büro war auf Wirtschaftsrecht spezialisiert und weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Eine der drei Chefinnen, Frau Dr. Maria Plum, war sowohl Juristin als auch promovierte Volkswirtin. Bei verschiedenen großen südbadischen Industriebetrieben – das waren vor allem Pharmakonzerne und Papierfabriken – saß sie im Aufsichtsrat. Darüber hinaus war sie juristische Beraterin oder Wirtschaftsprüferin vieler Firmen, die Kanzlei hatte eine große Wirtschaftsprüfungsabteilung. So gab es kaum ein bedeutendes Unternehmen in der Region, das nicht mit der Kanzlei von Frau Dr. Plum und ihren zwei Partnerinnen zusammenarbeitete.
    Frau Dr. Karola Fettweis war Wettbewerbsrechtlerin, Frau Dr. Tula Huber-Simons Spezialistin für Verwaltungs– und Staatsrecht. In ihren Zuständigkeitsbereich fiel das Öffentlich-Rechtliche. Sie vertrat unter anderem die Stadt Freiburg und das Land Baden-Württemberg, wenn Bürger oder Institutionen diese öffentlich-rechtlichen Institutionen angriffen. Auch familienrechtliche Angelegenheiten betreute die Kanzlei, mehr oder weniger notgedrungen. Von einer Kanzlei, die von Frauen geführt wurde, erwartete die Allgemeinheit, dass sie sich im Familienrecht engagierte. Zu einem Zeitpunkt, zu dem sie bereits lange tätig und sehr erfolgreich war, beschloss Frau Plum, diese Erwartung zu erfüllen. Sie übertrug die Aufgabe Frau Fettweis, da diese die Jüngste der drei war. Fortan bearbeitete Frau Fettweis neben dem Wettbewerbs– also auch noch das Familienrecht.
    Wir Jurastudentinnen und -studenten hörten viel über diese außergewöhnliche Kanzlei, mir erschien alles, was ich hörte, hochinteressant. Als ich einmal bei einer Abendveranstaltung Frau Dr. Plum traf, fragte ich die berühmte Juristin, ob ich ein Praktikum bei ihr machen dürfe. Ich durfte. Und obgleich ich in den wenigen Wochen des Praktikums kaum Einblicke in das juristische Geschehen hatte, sondern überwiegend Hilfsarbeiten im Sekretariat erledigte, sammelte ich wertvolle Erfahrungen. Niemand in der Kanzlei zweifelte an, dass Frauen macht– und verantwortungsvolle Arbeit leisten konnten und sollten.
    Viele Männer arbeiteten dort als angestellte Anwälte, es war Normalität, dass Frauen in der Hierarchie über ihnen standen. Auch gab es zahlreiche männliche Juristen, die sich ebenfalls bewarben und eine Anstellung sehr wünschten – weil die Kanzlei Plum weit und breit als die beste galt. Geschlechterrollen wurden nicht thematisiert. Die Chefinnen dachten auch nicht darüber nach, ob sie als Frauen diskriminiert wurden oder nicht ; sondern sie taten einfach ihre Arbeit und gingen davon aus, akzeptiert zu werden. Sie wurden akzeptiert, da sie brillante Arbeit leisteten. Das alles hat mich sehr geprägt – während des Praktikums und vor allem später, als ich als Referendarin und schließlich als Anwaltsassessorin in die Kanzlei zurückkehrte.
    Als Praktikantin fragte mich Frau Dr. Plum einmal: »Können Sie sich vorstellen, Anwältin zu werden?« Ich antwortete: »Das kann ich nicht sagen, da ich die juristischen Berufe noch nicht kenne. Was ich Ihnen aber sagen kann: Ich finde es hier bei Ihnen sehr interessant.« Das hat sie akzeptiert.
    An der Universität kam ich immer noch nicht besser zurecht. In meiner Freiburger Zeit musste ich die erste Klausur schreiben. Trotz einiger Schummelei erhielt ich nur die Note Drei. Meine Lernprobleme belasteten mich zunehmend, ich war verunsichert, unausgeglichen, nervös und sehr unzufrieden mit mir selbst. Kampflos aufzugeben kam nicht in Frage. So beschloss ich, ab dem fünften Semester alles zu geben – mich der Herausforderung mit voller Kraft zu stellen.
    Zurück in Hamburg, folgte eine wahnsinnig anstrengende Zeit, ich lernte wie besessen. Damals wie heute gingen fast alle Jurastudenten zu Repetitoren, das sind Privatlehrer, mit denen man den Stoff fürs Examen übt –

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