Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
in der Hand. Ich hab ihm dann gesagt, dass er das erst mal wegschließen soll. Denn was ist das für ein Anfang, wenn ein Kind seine ersten Schritte auf ein Gewehr zu macht? Außerdem ist es gefährlich mit so einem Trumm in der Hand.«
Sie schnäuzte sich.
»Wie gefährlich, das haben wir ja dann gesehen. Na ja, und viel später, also da war es fast schon dunkel, da hat der Günther gesagt, dass er ein Geschenk für die kleine Eulalia hat, jetzt, da sie das Laufen gelernt hat, und ist raus vor die Tür und zu seinem Wagen. Das muss so gegen siebene gewesen sein, genau, mein Mann hatte gerade die Nachrichten eingeschaltet – und dann haben wir den Knall gehört. Die Gertraud ist ganz blass geworden und hat gesagt: ›Da stimmt was nicht. Die Jagd ist doch schon vorbei.‹ Und mein Mann, also der Herr Döhring, hat das bestätigt und gesagt: ›Klar, um halb fünf wurde das Halali-Has-in-Ruh geblasen. Und er selber war ja auch schon um fünf daheim gewesen, weil er sich noch um seine Finanzgeschäfte kümmern wollte.«
Charlotte Rücker seufzte und sah bekümmert in den rückwärtigen Garten.
»Und dann?«
»Ja nix. Wir haben auf den Günther gewartet. Konnte ja keiner wissen, dass der Knall bei uns auf dem Hof losgegangen ist. Außerdem ist die Eulalia grad auf den Nachrichtensprecher im Fernsehen zugelaufen und war ganz enttäuscht, weil der ihr nicht die Hand entgegengestreckt hat.«
Bei der Erinnerung daran huschte ein Lächeln über Charlottes Gesicht, verschwand aber augenblicklich, als sie hinzufügte: »Mit einem Mal ist der Daxhuber Eduard im Haus gestanden und hat gesagt, dass da was Furchtbares passiert ist und ob wir denn nicht den Schuss gehört haben. Natürlich haben wir den gehört, aber wir haben uns nix dabei gedacht. Der war so bleich, der Ede, also ich hab mir denkt, der kippt gleich um. Wir also alle raus, und dann haben wir es gesehn … Die Daxhuberin stand direkt neben dem Auto, und zu ihren Füßen lag unser Günther.«
Sie schluchzte auf. Gertraud hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, während das Kind stoisch das Modemagazin zerriss.
»Mein Mann war noch oben in seinem Büro. Deshalb hat der Daxhuber Eduard mit dem Handy den Schmiedinger Adolf angerufen«, erzählte Charlotte weiter. »Und als der kam, hat er uns allen als Erstes verboten, irgendetwas anzufassen, und die Spurensicherung verständigt. Dabei hatte keiner von uns was angefasst. Dann hat der Adolf mit der Dienststelle in Landau telefoniert. Die haben ihn aber wohl direkt mit dem Staatsanwalt verbunden, weil sonst keiner zu erreichen war an diesem Samstag.«
Ganz kurz hatte es den Anschein, als sei sie stolz darauf, dass ihretwegen eine so hohe Dienststelle kontaktiert werden musste.
»Und der hat dann wohl Sie angerufen«, fügte Charlotte Rücker nach einer winzigen Pause hinzu. »Weil, sonst wären Sie ja wohl nicht gekommen.«
Franziska nickte.
»Mei, und die ganzen Leut«, jammerte Charlotte plötzlich. »Ich weiß gar ned, wo die alle so schnell hergekommen sind. Aber die haben dem Günther auch nicht mehr helfen können. Keiner. Nicht mal der Langrieger Beppo, obwohl er doch Ersthelfer ist. Das alles kann doch nur ein Versehen sein, denn wer sollte dem Günther was tun?«
Gertraud setzte sich auf. Ihr Gesicht war vom vielen Weinen fleckig und aufgedunsen.
»Wir wollten heiraten«, sagte sie tonlos.
»Das tut mir leid«, sagte Franziska und ärgerte sich. Warum sagte sie so etwas! Tat es ihr etwa leid, dass die beiden heiraten wollten? Es hätte nicht passieren dürfen, dass solche Phrasen aus ihr herausrutschten. Sie schämte sich.
»Wir haben uns geliebt«, schob Gertraud nach.
Franziska nickte schweigend. »Frau Halber, Sie haben Günther Hellmann doch gut gekannt. Was war er eigentlich für ein Mensch? Was hat ihn ausgezeichnet?«
»Er war wunderbar.« Gertraud begann erneut hemmungslos zu schluchzen.
»Ein herzensguter, kluger und freundlicher Zeitgenosse«, ergänzte Charlotte. Franziska hatte den Eindruck, als habe sie sich diesen Satz zurechtgelegt oder als würde sie ihn am heutigen Tage nicht zum ersten Mal sagen.
Plötzlich war es eigenartig still. Eulalia-Sophie hatte aufgehört, Papier zu zerreißen, und steckte sich stattdessen die Fetzen in den Mund.
»Wer macht so was nur? Und warum? Das kann doch nur ein Versehen sein!« Gertraud putzte sich die rote Nase. »Aber wen haben die sonst erschießen wollen, vielleicht den Bernhard?«
»Meinen Bernhard?« Kopfschüttelnd wandte sich
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