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Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)

Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Schröger , Katharina Gerwens
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wir deshalb in aller Ruhe über die gute Agnes sprechen können. Nein, essen Sie lieber noch nicht so viel von dem frisch gebackenen Brot. Ich hab’s doch grad erst aus dem Ofen geholt, ist ja noch ganz warm. Sie müssen schon ein wenig Ihren Magen schonen. Warten Sie, ich koch Ihnen einen Kamillentee. Oder lieber Fenchel? Hernach les ich Ihnen dann die Weissagungen der Agnes vor, die sich nachprüfbar erfüllt haben.«
    Ägidius Alberti lächelte gequält und zeigte dabei seine gelblichen Zähne. Er schlug die Beine übereinander und beugte sich dem duftenden Brot entgegen, das wie eine Verheißung mitten auf dem Küchentisch lag.
    Geschäftig erhob Martha Moosthenninger sich vom Küchentisch und wandte sich dem Herd zu. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch. Nie zuvor hatte ihr jemand so uneingeschränkt zugehört. Sie hoffte in diesem Augenblick, eines Tages an einem Rednerpult zu stehen und einem großen Auditorium die Wundertaten ihrer Agnes verkünden zu können. Insofern war es gut, das dann zu haltende Referat bei ihrem jetzigen und einzigen Zuhörer schon mal zu testen.
    Aus Gründen der Dramaturgie überging sie die Wunder der Kategorien eins bis sechs und konzentrierte sich nur auf die Highlights, also jene in Erfüllung gegangenen Prophezeiungen, die sie in ihrer nach oben offenen Wunderskala mit den Benotungen sieben und mehr ausgezeichnet hatte.
    Da sie die Bedeutung der Harbinger-Weissagungen jedoch immer erst im Nachhinein einschätzen konnte, blieb es nicht aus, dass sie in ihrem lilafarbenen Büchlein ständig hin und her blättern musste. Gelegentlich unterbrach sie ihren eigenen Redefluss voller Entzücken ob ihrer treffenden Formulierungen und stellte mit ungebrochener Begeisterung gewisse Sätze in unsichtbare Anführungszeichen.
    Währenddessen verspeiste ihr schweigender Gast fast das ganze frisch gebackene Brot.
    »Was meinen denn Sie?«, führte Martha nun aus. »Glauben Sie etwa, der Herr Maronna wär so schnell wieder gesund geworden, wenn nicht ich – zusätzlich zu den Fürbitten meines Bruders – ein Brieferl auf das Grab der Agnes gelegt hätte, damit sie dem Herrn Doktor wieder auf die Beine hilft? Oder diese Geschichte mit dem Zwacklhuber Pirmin. Wenn da die Agnes ned eine Fürbitte ausgesprochen hätt, so hätt der g’wiss nie auf den rechten Weg zurückgefunden.«
    Sie seufzte in Erinnerung an dieses Drama und lächelte dann siegesgewiss. »Und als Dreingabe hat sie auch noch dafür gesorgt, dass sich der Schmiedinger Adolf in die Zwacklhuberin verliebt, denn«, und hier beugte sie sich vertraulich vor, »nicht jeder Mensch ist dazu geschaffen, allein durchs Leben zu gehen wie ich.«
    Sie holte tief Luft und blätterte weiter in ihrem Büchlein. »Hier, sehen Sie mal: Die Halber Gertraud beispielsweise, für die hat die Agnes auch Wunder gewirkt. Glauben Sie mir, der ihr Doktor, den sie ja jetzt leider erschossen ham, der wär wohl kaum bei ihr geblieben, wenn die Halberin nicht auch die Agnes da oben um Beistand und um einen Vater für ihr vaterloses Kind gebeten hätte! Im Übrigen hätte sie den Herrn Dr. Hellmann niemals kennengelernt, wenn nicht meine Agnes mich zu dem geschickt hätte. Mich!« Stolz wies sie mit ausgestrecktem Zeigefinger auf sich selbst. »Weil, die sehen da oben natürlich viele Sinnzusammenhänge und Vernetzungen, die wir hier unten gar nicht verstehen. So viel hab ich schon begriffen.«
    Sie lächelte kokett. »Nur, dass dieser grundgütige Hellmann sterben musste, wo er der Malwine auf meine Fürbitte hin doch noch schnell einen Verwandten zur Seite gestellt hat – da hätt sie schon mal aufpassen können, die gute Agnes. Dass der hinterrücks erschossen wurde, darin nämlich seh ich keinen Sinn. Gar keinen. Ist doch schon fast, als würd der hier unten ned mehr gebraucht! Aber vielleicht hatte sie grad zu der Zeit was anderes zum tun und konnte nicht auf uns hier in Kleinöd aufpassen.«
    Bruder Ägidius zeigte sich ungerührt, und Martha registrierte, dass von ihrem frisch gebackenen Brotlaib so gut wie nichts mehr übrig war. Dieser permanent hungrige Gast würde schon wissen, was er tat. Wenn er das Brot aß, vertrug er es wohl auch. Ergeben betrachtete sie das fast leere Holzbrett in der Mitte des Küchentischs und lächelte ihn an. War es nicht auch eine zutiefst heilige Handlung, das Brot miteinander zu teilen?, schoss es ihr dann durch den Kopf. Nicht nur Brot, sondern auch Wein? Beherzt griff sie nach dem vorletzten Stück des Weißbrotes,

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