Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
meinte.
»Erkundige dich doch bei den Schlachtern hier in der Stadt, ob jemand ein auffälliges Interesse an Blut zum Mengenrabatt an den Tag gelegt hat. Das läßt sich machen. Selbst für euch Trantüten in eurer Abteilung!«
Sie waren jetzt nicht mehr allein in dem dubiosen Lokal. Zwei Frauen von Mitte Zwanzig hatten sich am anderen Ende des Saales niedergelassen. Das entging natürlich den sieben Männern in den besten Jahren nicht. Zwei von ihnen wirkten besonders interessiert, und Hanne überlegte, daß diese beiden im Moment wohl solo waren. Sie warf einen raschen Blick auf die Frauen, und ihr rutschte das Herz in die Hose. Lesben, wenn sie auch äußerlich nicht dem gängigen Klischee entsprachen. Eine hatte lange Haare, und beide sahen ziemlich durchschnittlich aus. Aber Hanne Wilhelmsen verfügte wie jede Lesbe über den inneren Radar, der diese Feststellung in Sekundenbruchteilen ermöglicht. Als die beiden sich plötzlich zueinander beugten und behutsam küßten, gehörte dieses Wissen nicht mehr ihr allein.
Sie war wütend. Solches Benehmen provozierte sie bis zum Wahnsinn, und es provozierte sie womöglich noch mehr, daß sie sich provozieren ließ.
»Lesben«, flüsterte einer der beiden Polizisten, die sich für die Neuankömmlinge ganz besonders interessiert hatten. Die anderen lachten lauthals, alle bis auf Billy T. Ein blonder, stämmiger Bursche, den Hanne eigentlich noch nie hatte leiden können, setzte zu einer passenden Zote an, wurde von Billy T. jedoch unterbrochen.
»Laß den Scheiß«, befahl er. »Was diese Damen da treiben, geht uns verdammt noch mal nicht das geringste an. Und außerdem …« Ein riesiger Zeigefinger tippte an die Brust des blonden Kollegen. »Außerdem sind deine Witze immer reichlich öde. Hör dir lieber den an.«
Dreißig Sekunden später brüllten wieder alle vor Lachen. Eine neue Runde Bier kam auf den Tisch, aber Hanne wollte nun nur noch einen akzeptablen Zeitraum zwischen der unangenehmen Episode mit den Lesben und ihrem eigenen Aufbruch verstreichen lassen. Eine halbe Stunde mußte ja wohl reichen. Sie erhob sich, zog ihre Lederjacke an, wünschte ihnen lächelnd noch einen schönen Einstieg ins Wochenende und wollte gehen.
»Zement mal, Schnüffel«, grinste Billy T. und packte sie am Arm. »Küßchen bitte!«
Halb widerwillig beugte sie sich zu ihm hinüber, als er in seiner Bewegung erstarrte und ihr mit einem Emst, den sie nur selten bei ihm erlebt hatte, in die Augen sah.
»Ich mag dich, Hanne«, sagte er leise. Und dann drückte er sie an sich.
SAMSTAG, 5. JUNI
Die Natur war völlig außer Rand und Band. Der Traubenkirschenduft hing schwer und mittsommerhaft über allen Wegen, und die Rosen in den Gärten waren schon voll erblüht. Die Tulpen, die normalerweise gerade ihren Höhepunkt erreicht hätten, spreizten vulgär ihre Blütenblätter und würden in ein oder zwei Tagen tot sein. Die Insekten summten wie betäubt durch dieses Fest. Leute mit Pollenallergie litten unsäglich, und auch die enthusiastischsten Sommerfans blickten immer wieder verstohlen zum Himmel und der weißen Sonnenscheibe, die sich nur nachts ein paar kurze Stunden Ruhe gönnte, ehe sie gegen fünf Uhr morgens wieder frohgemut und feuerheiß zur Stelle war. Irgend etwas stimmte doch nicht!
»Der Komet kommt!« stöhnte Hanne Wilhelmsen, die einmal pro Jahr Tove Janssons Muminbücher las.
Sie saß auf dem kleinen Balkon, ließ die Beine übers Geländer baumeln und las die Samstagszeitungen. Es war bereits abends halb elf, aber es war einfach noch zu heiß, um sich drinnen vor den Fernseher zu setzen.
»Schlaffi!« sagte Cecilie und bot ihr ein Glas Campari-Tonic an. »In Spanien würdest du das toll finden. Sei doch froh, daß wir ausnahmsweise mal hier im Norden schönes Wetter haben.«
»Nein danke. Und Kopfschmerzen habe ich auch. Das muß an der Hitze liegen.«
Cecilie hatte trotzdem recht. Eigentlich war es schön so. Hanne Wilhelmsen konnte sich nicht erinnern, je so spät am Abend schwitzend in Shorts und Unterhemd draußen gesessen zu haben. Jedenfalls nicht in Norwegen. Und schon gar nicht Anfang Juni.
Auf der Rasenfläche unter dem Balkon veranstalteten zwei Familien mit kleinen Kindern ein Fest. Fünf Kinder, ein Hund und zwei Garnituren Eltern grillten, sangen, spielten und amüsierten sich seit Stunden schon auf gute, altmodische Weise, obwohl die Kleinsten sicher längst ins Bett gehört hätten. Vor einer Stunde hatte Cecilie leise Überlegungen
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