Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
schon viele eher unvernünftige Sonnenschirme mit sich geführt, von denen einer eine ganze Menge mehr gewesen war. Solch eine Waffe hatte schon etwas für sich. Aber der Sonnenschirm in dem Kästchen vor ihm war der blanke Hohn. Von allem anderen einmal abgesehen war er völlig schlicht und schmucklos, bis auf die Nähte der eigentlich verborgenen Taschen. Er bestand aus tristem olivfarbenem Leinen! Vermutlich war er ziemlich tödlich, und es bestand kein Zweifel daran, dass die Erhebungen am Griff getarnte Schalter und Knöpfe waren. Jedenfalls war er schwer genug, um allerlei Gerätschaften zu enthalten. Doch wenn man so etwas über einen Parasol überhaupt sagen konnte, so sah er aus wie die Art von Gegenstand, die ein Jäger mit sich trug, nur Funktion und ohne jede Schönheit. Der Messinggriff biss sich regelrecht mit der olivgrünen Farbe. Er sah aus – Biffy erschauderte vor blankem Entsetzen – wie ein … Regenschirm!
Schnell warf er einen prüfenden Blick auf den Postschiffplan. Er würde ihn am frühen Morgen für die Post nach Casablanca aufgeben müssen, damit Lady Maccon ihn so bald wie möglich erhielt. Mit entschlossenen Schritten kehrte er zur Ladentür zurück und drehte das GESCHLOSSE N -Schild nach außen. Ihm blieben nur sechs Stunden, um die Situation wieder ins Lot zu bringen. Dann nahm er das abscheuliche Ding in die Hand und machte Platz auf dem Tresen. Er holte alles an Spitze, Seidenblumen, Federn und anderem Zierrat hervor, breitete es um sich herum aus, schnappte sich Nadel und Faden und ging ans Werk.
Der Expressdampfer der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company war ganz auf Luxus ausgerichtet. Die Linie zollte dem neuen Modewahn des Antiquitätensammelns und der Ägyptenreisen Rechnung und war ein Versuch der Schifffahrtsindustrie, mit den Luftschiffgesellschaften zu konkurrieren. Luftschiffe hatten den Vorteil, dass sie schneller waren und häufiger verkehrten, aber ein Dampfschiff bot mehr Raum und Annehmlichkeiten. Lord und Lady Maccons Erste-Klasse-Kabine war etwa so groß wie Lord Akeldamas Schrankzimmer, vielleicht sogar größer, und mit zwei Bullaugen versehen – eine Verbesserung gegenüber dem Schrankzimmer, das überhaupt keine Fenster hatte. Natürlich ließen sich vor die Bullaugen schwere Vorhänge ziehen, da die Linienschiffe immer mit Werwölfen als Reisende rechnen mussten.
Lord und Lady Maccon klopften an der angrenzenden Kabine, die sie für Ivys Kindermädchen und die Kinder gebucht hatten, und deponierten die schlafende Prudence dort in einem kleinen Schwingbettchen. Aus der Kabine auf der gegenüberliegenden Seite konnten sie Ivy hören, die sich bei ihrem Ehemann immer noch mit verzweifeltem Tonfall über den Verlust ihres Hutes beklagte.
Um ihre Anzahl in Grenzen zu halten, hatten sie weder Butler, Kammerdiener noch Zofe unter ihrem Personal. Das war eine beschämende Verletzung der Schicklichkeit, sollte dies jemals nach außen sickern. Alexia war ein wenig nervös, weil es bedeutete, dass Conall ihr bei ihrer Toilette würde helfen müssen, aber sie nahm an, dass sie in Notfällen auch die Gewandmeisterin der Theatertruppe um Hilfe bitten konnte. Ihr Haar würde sie einfach so oft wie möglich unter ein Häubchen stopfen müssen. Sie hatte auch ein paar von Ivys Haarwärmern, da sie vermutete, dass es an Deck eines Dampfschiffes ebenso kalt wurde wie auf einem Luftschiff, möglicherweise sogar noch kälter.
Da die Maccons der übernatürlichen Gesellschaft mit deren Gewohnheiten und Gebräuchen angehörten, widersetzten sie sich der Frühstücksglocke und allen grundlegenden Verpflichtungen ihren Mitreisenden gegenüber, indem sie sich entkleideten und zu Bett begaben. Alexia dachte sich, dass die Schauspieltruppe wahrscheinlich ebenfalls an einem nächtlichen Tagesablauf festhalten würde, zumal ihr Besuch in Ägypten dem Zweck diente, eine Vampirin zu hofieren. Zweifellos war die Mannschaft an solch eigentümliches Verhalten gewöhnt. Lady Maccon gab eindeutige Anweisungen hinsichtlich Essenszeiten und Postlieferungen. Und da helllichter Tag war, würde Prudence, selbst wenn sie aufwachen sollte, nicht mehr Schaden anrichten können als jedes gewöhnliche altkluge Kleinkind. Also ließ sich Alexia völlig zufrieden in Conalls willkommene Umarmung sinken. Die Welt draußen konnte auf sie warten.
Lady Maccon erwachte am späten Nachmittag. Sie kleidete sich selbst an, soweit es ihr möglich war, und verließ die Kabine, ohne den Schlaf
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