Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Japa-nensis genannt wird: Ein 79er Toyota Crown 2,8 Liter Super Saloon, und der Abschleppwagen ächzte unter seinem Gewicht. Gebrochene Federn an der Hinterachse gaben ihm etwas Hochnäsiges und Sprungbereites zugleich, und die letzten acht seiner Vorbesitzer waren alles keine Künstler im Einparken gewesen. Dort, wo Striemen und Rost sich noch nicht hatten durchsetzen können, herrschte die originale Dunkelbraun-Metallic-Lackierung vor, nur die Motorhaube war einem gelben und die Fahrertüre einem roten Schwesterschiff entliehen. Auf jeder Seite fehlte eine Radkappe (perfekt!) und auf der Beifahrerseite obendrein das ganze Glas. Ich schwang mich hoch auf die Pritsche und sah ins Wageninnere. Um an das Radio zu kommen, hatte irgendein Genie gleich drei Seitenscheiben eingeschmissen, nur um dann doch zu scheitern, denn es hing noch halb in der Konsole. Funkelnd wie Diamanten bestäubten die Glassplitter den gesamten Innenraum. Wunderschön.
    »Der läuft«, ließ sich Heiner hinter mir vernehmen. »Ich habe ihn selbst da hochgefahren.«
    >Selbst da hochgefahren< war Heiners Gütesiegel. Es stellte, von der Aussage her, nur eine geringe Abschwächung von >praktisch fabrikneu< dar.
    Ich umrundete den Bug, öffnete knarzend die Fahrertüre und ließ mich ein. Aah! Luxus umgab mich. Der Sitz machte dem Pfauenthron Konkurrenz, nur das knirschende Glas unterm Hintern musste man sich wegdenken. Plüsch und Velours allenthalben bis hoch in den stark nikotinverfärbten Dachhimmel. Vom Teppich war allerdings praktisch nichts zu sehen. Auf meiner Seite versanken die Füße bis zu den Knöcheln in Schalen von Erdnüssen, Pistazien und - tja, sah aus wie Vogelfutter -Sonnenblumenkernen?, nebenan saß man bis zu den Knien in Fast-Food-Verpackungen, und hinter den Sitzen hatte sich genug Leergut angesammelt, um ein Grab damit zu füllen.
    »Na, was meinst du?«, fragte Heiner von unten.
    »Ein Traum«, antwortete ich und drehte den Zündschlüssel. Heiner beeilte sich, die Bracken auszuziehen. Nach einigem Orgeln und Pumpen sprang die Mühle wirklich an, und als ich den Fuß vom Gas nahm, lief sie ohne Murren weiter, wobei sie nur ein bisschen so klang wie ein sich einsummender Sechs-Mann-Chor, von denen einer mit einem hartnäckigen Schluckauf kämpft.
    Unter einer Vielzahl von Gesten ließ ich mich rückwärts die Verladerampe herunterdirigieren, schaffte es aber trotzdem, auf dem letzten Meter die Vorderräder aus der Spur zu bringen und den Wagen krachend aufsetzen zu lassen, doch Heiner tat, als hätte er es nicht bemerkt und öffnete mir eilig das Tor zum Schrottplatz für meine obligatorische Probefahrt.
    Die Sache ist die: Ich habe einen persönlichen Fahrstil. Und ob ein Auto dem gerecht wird, weiß ich nach zwei Minuten. Etwas, das jeder meiner Wagen beherrschen muss, ist eine einwandfreie Kehrtwende. Um die zu überprüfen, beschleunige ich für gewöhnlich mit Vollgas die lange Gerade zwischen Heiners aufgetürmten Wracks hinunter, bis ich den kleinen Wendekreis an ihrem Ende sehen kann, drehe dann das Lenkrad ein paar Mal ruckartig hin und her, was das Heck tänzeln macht, latsche kurz und heftig auf die Bremse, biege viel zu schnell mit voll eingeschlagenen, hilflos jaulenden Vorderrädern in das Rondell, dass es die Bastler nur so aus dem Weg spritzt, reiße schließlich die Handbremse und halte sie so lange oben, bis der Arsch zur Gänze herumgeschleudert ist und wir - in diesem Fall - breit-seits gegen eine Ente gescheppert sind, die daraufhin einen panischen Satz zur Seite machte und alle vier Kotflügel von sich warf.
    Hm. So gerade eben bestanden, würd ich sagen. Ich hatte schon Wendigeres gesteuert. Doch egal. Die Kiste fuhr, lenkte, bremste. Und sie war noch angemeldet. Für fest versprochene fünf Blaue war sie mein, und nach einem letzten Winken in Kurtis Richtung fuhr ich sie unter dem erleichterten Applaus von Heiners schraubender Kundschaft vom Hof.
    »Du denkst dran, den Wagen spätestens morgen früh umzu-melden?«, hatte mich Heiner noch gemahnt, und ich hatte mit >Jaja< geantwortet und es im gleichen Augenblick wieder vergessen. Wenn alles lief wie geplant, würde ich ihm die Karre schon morgen oder übermorgen mit einem Ausdruck äußersten Bedauerns wieder hier hinstellen.
    Ein Liedchen pfeifend machte ich mich mit meinem neuen Untersatz vertraut, knipste Schalter, drehte Knöpfe, probierte, was geschah, wenn ich den dicken, verchromten Wählhebel für die Automatik während der Fahrt durch

Weitere Kostenlose Bücher