Septemberblut
Curtis mich. Es war kurz vor der Morgendämmerung und ich war die ganze Strecke vom Strand bis zu meinem Friedhof gelaufen.
Ich hatte meine Gedanken vor meinem Meister verschlossen und seine Anrufe ignoriert, bis er aufgab – das hatte ich jedenfalls gehofft.
Jetzt, zehn Tage später, saß er morgens auf den Stufen des Mausoleums.
Ich erreichte Hollywood Forever völlig durchnässt, meine Haut verklebt mit Salz und Sand. Den Tag zuvor hatte ich mich wie fast jeden anderen am Strand vergraben und dort geschlafen. Die Sonne hatte den Boden zum Kochen gebracht und mich durch eine Feuerhölle von Alpträumen geschickt.
Curtis saß einfach da und blinzelte in die heraufziehende Dämmerung.
Er vertrug viel Licht, doch nicht so viel. Er hatte alles genau geplant. Es blieb nicht genug Zeit für ihn, zur Zuflucht zurückzukehren, und ich würde ihn wohl oder übel in mein Heim bitten müssen.
Da saß er nun und sah mich an mit seinen leuchtenden Augen.Im erwachenden Tag schimmerte seine Haut wie Alabaster.
»Schön hast du es hier«, war alles, was er sagte. »Wunderschön.«
Er stand auf, seine Bewegungen fließend wie Schatten, und trat zur Seite, damit ich aufschließen konnte. Das Wasser tropfte von meiner zerfetzten Kleidung und malte dunkle Seen auf die weißen Marmorstufen. Die Schuhe hatte ich längst verloren und meine Füße waren schwarz und wund vom Dreck der Straße.
Curtis folgte mir hinein ins Dunkel der Gruft. Er atmete nicht. Das tat er nur, wenn Sterbliche in der Nähe waren.
Ich war nicht auf Besuch vorbereitet. In meiner geräumigen Kammer angelangt, entzündete ich einige Kerzen und wies auf eine Eisentür. Dahinter verbargen sich mehrere Särge, die ich bei meinem Einzug dorthin verbannt hatte.
Schweigend machten wir uns ans Werk, entfernten die beiden Kindersärge, die zuoberst lagen, und zogen einen schlichten Marmorsarg heraus, in dem er bequem würde liegen können. Curtis bog die Eisenklammern mit den bloßen Händen auf. Seine Kraft war für ihn eine Selbstverständlichkeit, die mich immer wieder verblüffte.
Der Tote war längst vergangen. Freilich nicht zu Staub.
Curtis sammelte die Knochen auf und deponierte sie respektvoll in einem der Kindersärge.
Zurück blieb ein Leichenschatten aus Moder und Erde. Der Tod riecht nicht schlecht, dachte ich kurz, ein bisschen wie morsches Holz und alte Bücher. Vorsichtig hoben wir das brüchige Leinen heraus und ließen die braunen Reste zu den Knochen gleiten.
Als letzten Akt fegte ich Generationen kleiner Käfer mit einem Handfeger zusammen. Die meisten waren tot, doch einige krabbelten noch matt umher.
Curtisbeobachtete mich. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ich ahnte, wie sehr ihn mein Anblick entsetzte. Immer wieder glitt sein eisäugiger Blick über meinen mageren Körper, die zerrissene Kleidung und meine dreckigen Hände und Füße. Aber wenn er schwieg, so würde auch ich es tun.
Die Sonne kratzte am Horizont und brachte ihre grausamen Geschenke.
Ich fühlte, wie die Lähmung in meinen Körper kroch, teilte eilig meine Decken mit Curtis und ließ mich in meinen Sarg sinken.
»Ich mache zu, wenn du eingeschlafen bist«, sagte er milde.
Das hatte er früher oft getan. Er saß bei mir, strich mir über die Stirn und das salzverkrustete Haar, bis ich nichts mehr spürte und das Augenlicht verlor. An diesem Tag schlief ich seit langem wieder ohne Alpträume.
Als ich am Abend aufwachte, saß Curtis schon wieder auf der steinernen Kante meines Sargs.
Während ich langsam zu mir kam, entzündete er die Kerzen in den Wandhalterungen und sah sich in meinem kleinen Reich um.
Meine unterirdische Kammer war nichts im Vergleich mit seinen Gemächern unter dem Lafayette, aber dennoch mehr als eine Gruft mit einem Sarg.
Die Wände waren mit weißem Marmor verkleidet, so wie auf diesem Friedhof vieles weiß war und mich die Melancholie des Ortes vergessen ließ.
Ich besaß sogar Möbel. Zwei wunderschöne Truhen, verziert mit schweren Schnitzereien und nur wenig jünger als ich. An den Wänden stapelten sich Bücher, hingen meine Kleider. Es gab ein Tischchen, einen gemütlichen Sessel und einen großen Spiegel.
Curtislächelte über den Schädel neben meinem Sarg und klopfte mit den Fingernägeln darauf. Es gab ein hohles, trockenes Geräusch.
»Eigentlich bist du zu alt dafür. Das ist Kinderkram.«
Als ich aufstand, rieselte Sand aus meiner immer noch klammen Kleidung. Weiße Salzränder zierten jede Falte im
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