Septimus Heap 01 - Magyk
halten«, sagte er und packte den Hebelarm der Pinne, »und dann drückst du nach rechts, wenn du willst, dass das Boot nach links fährt, und wenn das Boot nach rechts fahren soll, ziehst du nach links. Ganz einfach.«
»Klingt für mich überhaupt nicht einfach«, sagte Junge 412 unsicher. »Müsste es nicht umgekehrt sein?«
»Sieh her, so.« Nicko drückte die Pinne nach rechts. Sie ließ sich problemlos bewegen, und das große Ruder am Heck schwenkte in die entgegengesetzte Richtung.
Junge 412 spähte über die Seite des Bootes. »Ach so. Jetzt verstehe ich.«
»Versuch du mal«, sagte Nicko. »Es bringt mehr, wenn du es selber hältst.«
Junge 412 nahm die Pinne in die Rechte und stellte sich daneben, so wie Nicko es ihm gezeigt hatte.
Der Schwanz des Drachen zuckte.
Junge 412 erschrak. »Was war das?«
»Nichts«, sagte Nicko. »So, und jetzt drückst du es einfach von dir weg, und zwar so ...«
Während Nicko seiner Lieblingsbeschäftigung nachging, nämlich einem anderen zu zeigen, wie Boote funktionierten, war Jenna nach vorn gegangen und sah sich den goldenen Drachenkopf an. Sie fragte sich, warum die Augen des Drachen geschlossen waren. Wenn ich ein so herrliches Boot hätte, so dachte sie, würde ich dem Drachen zwei große Smaragde als Augen geben. Das hätte er mehr als verdient. Und dann schlang sie, einer plötzlich Regung folgend, die Arme um den grünen Hals und lehnte ihren Kopf dagegen. Der Hals fühlte sich glatt und überraschend warm an.
Bei Jennas Berührung überfiel den Drachen ein Schauder. Ferne Erinnerungen stiegen in ihm hoch.
Lange Tage der Genesung nach dem schrecklichen Unfall. Am Mittsommertag kommt Hotep-Ra mit der schönen jungen Königin aus der Burg Besuch. Aus Tagen werden Monate, aus Monaten Jahre, und das Drachenboot liegt im Tempel und wird von Hotep-Ras Bootsbauern langsam, viel zu langsam wieder in Stand gesetzt. Und jeden Mittsommertag besucht die Königin, nun in Begleitung ihrer kleinen Tochter, das Drachenboot. Viele Jahre gehen ins Land, und noch immer sind die Bootsbauer nicht fertig. Endlose einsame Monate, wenn die Bootsbauer verschwinden und es allein lassen. Und dann wird Hotep-Ra alt und gebrechlich, und als das Boot endlich wieder in altem Glanz erstrahlt, ist Hotep-Ra zu alt, um es zu besichtigen. Er befiehlt, den Tempel unter einem großen Haufen Erde zu begraben, um das Boot zu schützen bis zu dem Tag, an dem es wieder gebraucht wird, und Dunkelheit umfängt es.
Doch die Königin vergisst nicht, was Hotep-Ra ihr gesagt hat – dass sie das Drachenboot an jedem Mittsommertag besuchen müsse. Und so kommt sie jeden Sommer auf die Insel. Sie lässt für sich und ihre Damen eine einfache Hütte bauen, in der sie wohnen können, und an jedem Mittsommertag entzündet sie eine Laterne, steigt damit hinunter in den Tempel und besucht das geliebte Boot. Wieder verstreichen Jahre, und alle nachfolgenden Königinnen statten dem Drachen am Mittsommertag einen Besuch ab, auch wenn sie den Grund dafür nicht mehr kennen. Sie tun es, weil schon ihre Mütter es getan haben, aber auch, weil sich jede neue Königin in das Boot verliebt. Umgekehrt liebt der Drache jede Königin, und obwohl jede auf ihre Art anders ist, haben alle dieselbe sanfte Art, ihn zu berühren.
Und so vergehen Jahrhunderte. Der Mittsommerbesuch wird ein geheimer Brauch, über den Weiße Hexen wachen, die in der Hütte wohnen, das Geheimnis des Drachenboots hüten und die Laternen entzünden, um dem Drachen über die schwere Zeit hinwegzuhelfen. Unter der Insel begraben, verdöst der Drache die Jahrhunderte und wartet in der Hoffnung, eines Tages befreit zu werden, auf jeden magischen Mittsommertag, an dem die Königin persönlich mit einer Laterne kommt und ihm ihre Aufwartung macht.
Bis zu jenem Mittsommertag, als die Königin nicht kam. Der Drache war in tiefer Sorge, doch er konnte nichts tun. Tante Zelda hielt sich in der Hütte bereit, falls die Königin doch noch kommen sollte, und der Drache wartete, von Tante Zeldas täglichen Besuchen mit einer frisch entzündeten Laterne bei Laune gehalten. Doch eigentlich wartete der Drache nur auf den Augenblick, da ihm die Königin wieder die Arme um den Hals legen würde.
So wie sie es eben getan hatte.
Der Drache öffnete überrascht die Augen. Jenna stockte der Atem. Ich muss träumen, sagte sie sich. Die Augen des Drachen waren tatsächlich grün, so wie Jenna sie sich vorgestellt hatte, aber sie waren keine Smaragde. Es waren
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