Septimus Heap 06 - Darke
umkurvend, quer über die Werft zu einem erleuchteten Fenster, das in diesem Moment einen wunderschönen Anblick bot. Zugegeben, es gehörte zur Porter Fähre und war streng genommen nur ein erleuchtetes Bullauge, aber das kümmerte Stanley nicht. Licht war Licht, und wo Licht war, war Leben.
Die Luke zu der Kabine mit dem Bullauge war verschlossen und verriegelt, aber davon ließ sich eine Botenratte nicht aufhalten. Stanley sprang auf das Kabinendach, fand die Belüftung – ein offenes Rohr, gebogen wie der Griff eines Regenschirms – und schlüpfte hinein.
Nicko hatte Jannit Maarten nie zuvor schreien hören. Und eigentlich war es auch eher ein lautes Quieken – kurz, scharf und sehr schrill. Es klang überhaupt nicht nach Jannit.
»Eine Ratte!«, rief sie, fuhr in die Höhe, griff nach einem Schraubenschlüssel, der in der Nähe lag – in Jannits Nähe lag immer irgendein Schraubenschlüssel –, und schlug damit zu. Stanleys Reaktionsvermögen wurde auf eine ernsthafte Probe gestellt. Er hüpfte gerade noch rechtzeitig zur Seite, warf die Arme in die Luft und fiepte: »Botenratte!«
Den Schraubenschlüssel abermals zum Schlag erhoben, starrte Jannit auf die Ratte, die plötzlich mitten auf den Tisch gesprungen war und dabei nur um Haaresbreite die brennende Kerze verfehlt hatte. Stanley beobachtete den Schraubenschlüssel. Und alle anderen am Tisch beobachteten Stanley.
Jannit Maarten – drahtig, mit windgegerbtem, walnussbraunem Gesicht und eisengrauem Haar, das zu einem Seemannszopf gebunden war – sah aus wie eine Frau, mit der nicht zu spaßen war. Ganz langsam legte sie den Schraubenschlüssel auf die Tischplatte, und Stanley, dem vor Schreck die Luft weggeblieben war, atmete erleichtert ein. Er blickte in die Runde, schaute in die erwartungsvollen Gesichter und begann, den Augenblick zu genießen. Das war es, wofür eine Botenratte lebte – Spannung, Aufregung, Aufmerksamkeit, Macht.
Stanley betrachtete sein Publikum mit dem gebieterischen, selbstbewussten Blick einer Ratte, die weiß, dass sie, zumindest in den nächsten Minuten, keinen Besenangriff zu fürchten hat. Er musterte den Empfänger seiner Nachricht, Nicko Heap, nur um sich zu vergewissern, ob er es auch wirklich war. Er war es. Die kleinen Zöpfe, die Nicko sich ins strohblonde Haar geflochten hatte, machten ihn unverkennbar. Ebenso die hellgrünen Heap-Augen. Neben Nicko saß Rupert Gringe, dessen kurze Haare im Kerzenlicht gelbrot schimmerten, und ausnahmsweise einmal schaute er nicht finster drein. Ja, er lächelte sogar, wenn er die etwas mollige junge Frau anblickte, die dicht neben ihm saß. Stanley kannte sie, logisch. Sie war die Skipperin der Porter Fähre. Sie hatte ebenfalls rote Haare, allerdings beträchtlich längere als Rupert Gringe. Und auch sie lächelte, und im Kerzenschein sah sie sogar ziemlich sympathisch aus. Aber Stanley blieb auf der Hut. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie eine faulige Tomate nach ihm geworfen. Obwohl ... das war immer noch besser als ein Besen.
Nicko riss Stanley aus seinen Gedanken. »Für wen ist sie?«, fragte er.
»Wer?«
»Die Nachricht. Für wen ist sie?«
»Ähem.« Stanley räusperte sich und stellte sich auf die Hinterpfoten. »Bitte zu beachten, dass in Anbetracht der gegenwärtigen ... äh ... Lage und der damit einhergehenden Umstände diese Nachricht nicht in der üblichen Form übermittelt wird. Infolgedessen kann auch keine Gewähr für die Richtigkeit ihres Inhalts übernommen werden. Gebühren sind nicht zu entrichten, aber an der Bürotür des Botenrattendienstes befindet sich eine Büchse für Spenden zugunsten eines neuen Regenrohrs am Osttorwachturm. Bitte zu beachten, dass über Nacht kein Geld in der Büchse belassen wird.«
»Ist das die Nachricht?«, fragte Nicko. »Sie sind hergekommen, um uns von dem Regenrohr zu berichten?«
»Von was für einem Regenrohr?«, fragte Stanley, dessen Mund wie so häufig seinen Gedanken vorausgeeilt war. Und dann, als seine Gedanken aufgeholt hatten, setzte er ziemlich spitz hinzu: »Nein, natürlich nicht.«
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Nicko plötzlich. »Sie sind Stanley, habe ich recht?«
»Warum fragen Sie?«, erkundigte sich der Angesprochene misstrauisch.
Nicko grinste. »Nur so. Also, Stanley, für wen ist die Nachricht?«
»Für Nicko Heap«, antwortete die Ratte, die leicht gekränkt war, ohne recht zu wissen, warum.
»Für mich?« Nicko schien überrascht.
»Wenn Sie das sind, ja.«
»Natürlich
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