Septimus Heap 06 - Darke
diesem Ort, und wartete auf ihn, seinen Sohn.
Beetle hatte das Gefühl, in bleiernen Stiefeln auf dem Grund eines düsteren, wirbelnden Meeres zu gehen, als er tiefer in das Dunkel vordrang. Alles wirkte gedämpft, und sein Atem ging langsam. Verschwommene Schatten von Gespenstern – die Beetle freilich nicht als solche erkannte – schwebten am Rand seines Gesichtsfelds hin und her, zupften ihn an den Kleidern, stießen ihn vorwärts. Im Glauben, dies wäre der bedeutendste Augenblick in seinem Leben, ging Beetle langsam, beinahe ehrfürchtig weiter. Er wusste, er brauchte nur die richtige Tür aufzustoßen, und schon würde er dem Menschen gegenüberstehen, nach dem er sich immer gesehnt hatte.
Er ging einen nicht enden wollenden Gang entlang, kam an Räumen vorbei, in denen sich alte Matratzen, Bettgestelle und ramponierte Möbel stapelten – doch nirgendwo war Mr. Beetle. Da vernahm er plötzlich ein Niesen. Sein Herz tat einen Sprung. Er war am Ziel. Es war sein Vater, der geniest hatte – er wusste es. Was hatte seine Mutter so oft zu ihm gesagt? Wäre dein Vater nicht gegen alles allergisch gewesen, hätte er sich nicht aufgebläht wie ein Ballon, als ihn diese Spinne gebissen hat, und würde heute noch leben. Und jetzt war er hier, am Ende des Korridors, und nieste, wie er es ständig getan hatte. Aufgeregt ging Beetle auf die Kammer zu, aus der das Niesen gekommen war. Die Tür stand halb offen, und durch den Spalt konnte er ein schmales Bett erkennen, in dem eine Gestalt lag, die Decke bis zu den Ohren hochgezogen. Als er auf Zehenspitzen hineinschlich, wurde die Gestalt abermals von einem heftigen Niesen geschüttelt. Er blieb stehen. Die Worte, die er immer schon hatte sagen wollen, drängten auf seine Lippen, aber bisher hatte er niemanden gehabt, dem er sie hätte sagen können. Er holte tief Luft und sprach sie aus.
»Hallo, Dad, Ich bin’s, B...«
»Hä?« Die Gestalt setzte sich auf.
»Du!«, stieß Beetle bestürzt hervor. »Du! Aber du bist nicht mein ...«
Merrin Meredith, die Nase rot und wund, sah noch erschrockener aus. Die Haare standen ihm zu Berge. Er musste heftig niesen und schnäuzte sich in das Bettlaken.
Beetle kam wieder zur Besinnung und begriff, dass er seinen Vater hier niemals sehen würde. Tiefe Trauer befiel ihn und wich im nächsten Augenblick der Angst. Er bekam wieder einen klaren Kopf, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, was er getan hatte – er hatte ein Dunkelfeld betreten. Er zwang sich, Ruhe zu bewahren. Er sah Merrin an, der einen mitleiderregenden Anblick bot, wie er so in einem Bett hockte. Seine langen, speckigen Haare hingen zottelig über frisch gesprossene Pickel, seine schmalen knochigen Finger zupften nervös an der Bettdecke, und an seinem geschwollenen, blau angelaufenen linken Daumen steckte der klobige Ring mit dem Doppelgesicht, den er schon in den alten Zeiten (wie Beetle sie jetzt nannte) im Manuskriptorium getragen hatte.
Es ist nur Merrin Meredith, sagte sich Beetle. Ein Volltrottel. Der bringt nie und nimmer ein anständiges Dunkelfeld zustande.
Aber Beetle blieb vorsichtig. Es kam ihm merkwürdig vor, dass er sofort wieder zur Vernunft gekommen war, als er Merrins Zimmer betreten hatte. Denn genau dies würde er erwarten, wenn Merrin tatsächlich ein Dunkelfeld erzeugt hatte. Merrin würde sich im Mittelpunkt des Feldes aufhalten, in seinem Auge, wo alles ruhig und frei von schwarzmagischen Turbulenzen ist. Um zu überprüfen, ob das so war, müsste Beetle nur das Zimmer wieder verlassen, aber dieses Risiko was ihm zu groß. Er wusste, dass sich in einem Dunkelfeld das Gefühl für Raum und Zeit verändern konnte. Während man selbst den Eindruck hatte, nur wenige Schritte zu gehen, konnte man in Wirklichkeit Meilen oder sogar Hunderte von Meilen zurücklegen. Und in der Tat war ihm der Gang durch den Korridor vorhin sehr, sehr lang vorgekommen. Angenommen, er befand sich gar nicht mehr auf dem Dachboden des Palastes? Er konnte überall sein, in den Ödlanden, am Bitterbach, in Verlies Nummer Eins – überall.
Beetle sah nur eine Möglichkeit: Er musste Merrin glauben machen, dass ihm das Dunkelfeld missraten war, und ihn dazu bringen, mit ihm hinauszugehen. Auf diese Weise könnte er gefahrlos zurückkehren. Es war heikel, aber es konnte klappen. Er musste nur Lügen vermeiden – denn Lügen können alles Dunkelmagische verstärken. Und so holte Beetle tief Luft und begann, seinen Plan in die Tat umzusetzen.
»Merrin Meredith, was
Weitere Kostenlose Bücher