Sex and Crime auf Königsthronen
Sachen seiner Vermögensverhältnisse wiederum flexibel um mit der Wahrheit. Nur zwei Jahre später werden sächsische Buchprüfer herausfinden, dass die angebotenen Pfründe weniger einträglich und teils nur auf dem Papier sein Eigentum sind. Er hat sie teilweise bereits verpfändet, aber zu diesem Zeitpunkt sind Anna und Wilhelm schon ein Paar.
Zurück zur Brautwerbung. Im Sommer 1560 scheint der Hochzeit nach sechs Monaten Feilscherei endlich nichts mehr im Wege zu stehen.
Außer Annas Großvater, Landgraf Philipp von Hessen, den wir oben schon einmal als notorischen Ehebrecher und Bigamisten kennengelernt haben. Genau, der mit den angeblich drei Hoden.
In mehreren wütenden Briefen an Annas Onkel rät der liebeserfahrene Schwerenöter entschieden von der Verbindung ab. An erster Stelle – wie üblich – aus religiösen Gründen. Philipp von Hessen ist inzwischen 56 und mehr am seelischen als am sexuellen Wohlbefinden interessiert. Doch nicht nur die Kluft der Konfession in der Ehesache seiner Enkelin bereitet dem Landgrafen Sorgen. Wichtig, wenn nicht sogar am wichtigsten, erscheinen ihm folgende Punkte:
Erstens: Wilhelm steht als Grafensohn rangmäßig unter einer Kurfürstentochter. Wer bitte sind denn schon diese Dillenburger?
Zweitens: Der Prinz könne als spanischer Vasall seiner Frau nie und nimmer freie Glaubensausübung gestatten, ohne Leib und Gut zu riskieren. Der gewiefte Landgraf enttarnt Wilhelms mündliche Zusicherungen als Schwindel. Er kennt die Ketzeredikte der Niederlande aus dem Effeff, befürchtet gar, dass Anna verfolgt werden könnte und aus den Niederlanden fliehen muss und in wirtschaftliche Not gerät.
Drittens: Wilhelm sei bekanntlich ein Verschwender und hoch verschuldet, weshalb seinen Zusagen in Sachen Witwengut und Versorgung der Nachkommen nicht zu trauen sei.
Viertens: Wilhelm hat bereits einen Sohn und Haupterben aus erster Ehe, der voraussichtlich den Prinzentitel und den Hauptbesitz erben wird. Was die Sache noch unschöner macht: Die verstorbene Mutter stand im Rang niedriger als Anna von Sachsen.
Fünftens: Wilhelm sei für Sittenlosigkeit und eheliche Untreue bekannt, die schon seine erste Frau gegrämt hätten. Seiner jungen Enkelin Anna – so Philipp – fehlen die Voraussetzungen, um die sattsam bekannte Umtriebigkeit des Oraniers mit der gebotenen christlichen Geduld zu ertragen.
Abgesehen davon, dass Moralpredigten aus dem Mund von älteren Herren, die es jahrzehntelang hemmungslos und toll getrieben haben, ein wenig bigott klingen, sind die Vorahnungen des Großvaters bemerkenswert hellsichtig und weise.
Aber Onkel August, dem Wilhelm anno 1558 beim Reichstag in Frankfurt seine Ansichten über Ehe und Konkubinen selbst erläutert hat, wischt die Einwände beiseite. Die Vorwürfe wegen Sittenlosigkeit nennt er sogar Gerüchte.
Einen Oranier, der Zugang zu den wichtigsten Machtzentren Europas hat, kann man als Bräutigam nicht abweisen, schreibt er sinngemäß dem Landgrafen. In Sachen Religion habe der Oranier ihm überdies die schriftliche Zusage versprochen, dass Anna stets und überall ihren lutherischen Glauben praktizieren darf. (Ein Schriftstück, das August nie erhalten wird.)
Abschließend stellt der Brautonkel klar: Man müsse froh sein über jede Werbung um Anna, da sie – jetzt fällt zum ersten und einzigen Mal das Stichwort »Behinderung« – »ungeschickten Leibes« sei. Also sozusagen ein Mängelexemplar auf dem Heiratsmarkt. Hinzu käme ein kleiner Dachschaden in Form von Eigenwilligkeit. Womit der Kurfürst das Muster vorgibt, dem spätere Historiker bei der Charakterisierung Annas getreu folgen.
Tatsache ist vor allem eins: Der Kurfürst August will die Nichte als Kostenfaktor einträglich loswerden.
Zu Augusts Bedauern hat der Landgraf Philipp aber leider ein Recht auf Einspruch. Wochenlang gehen spitze Briefe zwischen dem Hof von Dresden und der Residenz zu Kassel hin und her. Der Großvater kann die Heirat um ein volles Jahr hinauszögern.
Bis Wilhelm seine schärfste Waffe einsetzt: sich selbst in voller Schönheit und Lebensgröße. Im Dezember 1560 nutzt der Prinz eine Reise nach Dillenburg für einen vierzehntägigen Abstecher nach Dresden. Er reitet mit großem Gefolge und als glanzvoller Ritter im Zwinger ein. Ein bestrickender Anblick. Sein entwaffnender Charme tut ein Übriges. Teenager Anna – emotional unterversorgt und der Dresdner Tristesse müde – verliebt sich auf den allerersten Blick.
Kaum ist der Prinz
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