Sex and Crime auf Königsthronen
der Widerstandsbewegung zu Wasser, findet, die in der Nordsee die Handels- und Nachschubschiffe der Spanier abfangen, widmet sich Wilhelm ab Juli 1568 verstärkt dem, was er am besten kann: der Geheimdiplomatie, Selbstvermarktung und Propaganda unter der Überschrift Kampf gegen Ketzerverfolgung und fürs Vaterland.
Um diese Zeit schreibt ein Anhänger des Prinzen das Propagandalied Het Wilhelmus , in dem der Prinz seine Treue zum Vaterland – gemeint sind die Niederlande – bis in den Tod schwört. Damit schreibt er Wilhelm von Oranien die Rolle seines Lebens als »Vater des Vaterlandes« auf den Leib. Wie wir bereits wissen, wird aus dem Heldensong ein Hit und Evergreen, doch zum Zeitpunkt seines Entstehens ist der Prinz noch weit entfernt von Sieg und Ruhm.
Patriotismus als verbindende Idee ist damals ein erregendes Novum.
Das revolutionäre Allons enfants de la Patrie (Auf, Kinder des Vaterlandes) der französischen Revolution liegt noch in weiter Ferne.
Europas Bevölkerung, die gleichzeitig einem Herrschergeflecht aus Kaiser, Königen, Landesherren, diversen Grafen und anderen Gebietsherren bis hinunter zum Dorfschulzen untersteht und gehorchen muss, kennt Vaterlandsliebe nur als ganz lokale Angelegenheit und nicht als nationale Sache.
Kölner etwa nannten lediglich ihre kaiserliche freie Reichs- und Domstadt ihr Vaterland. Außerhalb der Stadtmauern von Köln begannen für sie bereits das Ausland und das Hoheitsgebiet eines kurfürstlichen Erzbischofs, mit dem sie sich beständig in den Haaren lagen, weil der ihnen und ihrem Vaterland Köln einige Rechte abknöpfen wollte. Dieser Kurfürst hatte unter anderem im Sauerland und im schönen Recklinghausen teilweise etwas zu sagen, dazwischen gar nichts oder nur ein wenig. Und nach diesem politischen Patchworkprinzip funktionierte so ziemlich ganz Europa.
Selbst vergleichsweise einheitliche königliche Hoheitsgebiete wie Frankreich sahen auf der politischen Landkarte noch aus wie ein Schweizer Käse. Überall lauerten Machtlöcher; in der Mitte, im Süden und im Norden stellten sich Frankreichs Königen selbstständige Herrschaftsgebiete in den Weg.
Ein Beispiel: Die wichtige Hafenstadt Calais gehört, wie schon dargelegt, bis 1558 Englands Königen, die den günstigen Brückenkopf gern für kriegerische Ausflüge nach Frankreich, Flandern und Holland nutzen oder ihn Bündnispartnern als solchen anbieten.
Bei Friedensverträgen spielen die Könige dieser Tage gern Länder- und Städtetausch à la Monopoly, um ihre Gebiete zu erweitern und zu schließen. Die Nationalisierung Europas beginnt. Monopolyfans kennen das: Wer Schlossallee und Parkstraße beisammen hat, hat die Nase vorn; wer sich mit der schäbigen Badstraße und einem davon abgelegenen Bahnhof über Wasser halten muss, ist auf die Dauer arm dran.
Das Vaterland als übergeordnete, verbindende Idee einzuführen gehört zu den genialsten Eingebungen Wilhelms von Oranien und eröffnet ihm ungeahnte neue Karrierechancen.
Als Sohn eines Grafen, der nur ein Lummerland besaß, als entmachteter Statthalter in Spaniens Diensten, der alle seine holländischen und zeeländischen Besitzungen verloren hat, und als jemand, der nur dem Titel nach Prinz eines winzigen Fürstentums ist, kann man normalerweise keinen großen Staat machen. Mit der Idee vom Vaterland, das unter seiner Führung zusammenhält, um einen Tyrannen abzuschütteln, und eine eigene Regierung aufbaut, schon.
Leider steht dem gewitzten Prinzen die religiöse Vielfalt und Zerstrittenheit innerhalb der niederländischen Bevölkerung bei seinen ausgesprochen modernen Vereinigungs- und Vaterlandsideen ebenso im Weg wie seinem Widersacher König Philipp, der seine Untertanen weltweit unter dem Dach des Katholizismus zusammenbringen möchte. Noch ist die Idee von der Allmacht Gottes auf Erden stärker als die Idee eines einigen Vaterlandes.
Da hilft nichts. Um sich mehr Unterstützung im niederländischen Volk zu sichern, muss Wilhelm sich wohl irgendwann für eine der dortigen Religionsgemeinschaften entscheiden. Die calvinistischen Geusen sind die nächstliegende Wahl. Wir erinnern uns: Ihr Gott erlaubt den Widerstand gegen Herrscher, solange diese noch nicht zum wahren, also ihrem Glauben, gefunden haben. Darin sind sie weit kämpferischer als die Lutheraner.
Doch ein klares Bekenntnis zum Calvinismus kann und will sich Wilhelm 1568 noch immer nicht leisten. Zum einen möchte er seine überzeugte lutherische Mutter und seinen Bruder
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