Sex oder Lüge
an und überlegte, ob sie sich heute schon gekämmt hatte. Da sie ohnehin so spät dran gewesen war, hatte sie sich beim Schminken auf etwas Mascara beschränkt. „Ich war die Nacht über im Hotel und hatte vergessen, wie lange die Fahrt dauert, wenn die Schneefelder blenden.“
„Aha, die Schneefelder blenden … Die ganze Nacht warst du im Hotel? Bei ihm?“
„Das ist noch nicht alles.“
Corinne hob die Augenbrauen. „Du hast ihm verraten, wer du bist.“
„Nur meinen Vornamen.“ Miranda hob den Zeigefinger. „Aber ich habe ihn für heute Abend zum Dinner eingeladen.“
Corinne schnalzte mit der Zunge und machte sich wieder an die Arbeit. „Beschwer dich nicht, wenn um dich herum alles zusammenbricht. Du hast zu viele Geheimnisse, um eine funktionierende Beziehung zu führen. Es sei denn, du willst reinen Tisch machen.“
„Im Moment geht es nur um Sex und nicht um eine Beziehung. Da wird nichts zusammenbrechen.“
„Rede dir das ruhig ein.“ Corinne deutete mit der Schere auf sie. „Ich erinnere dich später wieder, wenn dir die Dinge über den Kopf wachsen.“
Miranda wusste, wie empfindlich Corinne reagierte, sobald es um Beziehungen ging. „Was soll ich denn zum Dinner kochen?“
„Was mag er denn?“
Zum Thema Lieblingsgerichte waren sie nicht gekommen. „Keine Ahnung, ob er Vegetarier oder Veganer ist oder am liebsten Fleisch mit Kartoffeln isst.“
„Vielleicht eine fleischlose Lasagne mit Salat und Brotsticks?“, schlug Corinne vor.
Das klang unkompliziert, aber … „Und wenn er kein Gemüse mag? Oder eine Weizenallergie hat?“
Immer noch mit der Schere in der Hand, wandte Corinne sich ihr zu. „Wieso rufst du ihn nicht an und fragst ihn?“
„Gute Idee.“ Miranda rief die Rezeption des Hotels an und startete ihreLaptop, während sie sich mit Calebs Zimmer verbinden ließ. „Zimmer 218, bitte.“
Unwillig murmelnd wandte Corinne sich ab und fuhr fort, Nelken zurechtzuschneiden.
„McGregor“, meldete Caleb sich nach dem vierten Klingeln.
Beim Klang seiner Stimme kehrten sofort die Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück. Miranda klemmte sich den Hörer ans Kinn. Ihr wurde warm. „Caleb? Hier ist Miranda. Bist du Vegetarier? Hast du irgendwelche Allergien? Gibt es etwas, das du nicht magst? Brokkoli? Speck? Béchamelsoße?“
„Wie heißt die Soße?“ Er lachte. „Wenn ich wüsste, was das ist, würde ich vielleicht die Nase rümpfen. Irgendwas Überbackenes mag ich immer, aber ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade tut’s auch.“
„Ganz bestimmt setze ich dir keine Sandwiches mit Erdnussbutter vor, aber ich will auch nicht, dass ich dir Shrimps serviere, und du bekommst einen Anfall.“
„Nein, keine Sorge, ich bin gegen nichts allergisch. Aber da du schon anrufst: Was trägst du gerade?“
„Bis heute Abend, Caleb.“ Bevor er etwas erwidern konnte, legte sie auf. Mit einer Hand wedelte sie sich kühlend Luft ins Gesicht und wandte sich wieder Corinne zu. „Wir können uns das Rezept aussuchen.“
„Wieso denn auf einmal wir? Du bist es doch, die sich vom Regen in die Traufe stürzt. Obwohl du im Moment eher so aussiehst, als könntest du einen kleinen Regenguss gut gebrauchen.“
Ja, sie kam aus dem Regen, aber wo sie gelandet war, konnte Miranda nicht sagen. Eine Beziehung? Eine Affäre? Lieber wollte sie sich auf das bevorstehende Dinner konzentrieren. „Was Italienisches?“
„Zu viel Knoblauch“, gab Corinne umsichtig zu bedenken.
„Steaks mit gefüllten Kartoffeln?“
„Danach hängt ihr zwei nur noch müde auf den Stühlen.“
„Ich will unbedingt einen guten ersten Eindruck machen.“ Es machte Miranda verlegen, dass ausgerechnet sie, die bei Veranstaltungen mit Hunderten von Fremden die Speisefolgen festgelegt hatte, jetzt nicht entscheiden konnte, was sie einem Mann vorsetzen sollte, den sie während einer langen leidenschaftlichen Nacht sehr gut kennengelernt hatte.
Laut stieß Corinne die Luft aus. „Wer solche Knutschflecke hat, braucht sich über den ersten Eindruck keine Gedanken mehr zu machen.“
Verdammt! Miranda lief in den Waschraum und begutachtete im Spiegel ihren Hals. Tatsächlich, dort waren Rötungen von Calebs Bartstoppeln.
Vielleicht hätte sie sich heute früh doch etwas Zeit fürs Make-up nehmen sollen. Zum Glück hatte sie eine Sammlung von Make-up-Proben in ihrem Spind.
Gerade als sie die roten Stellen überschminkte, trat Corinne hinter sie. „Ich würde es ganz schlicht machen“, schlug
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