Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
ein Vorraum mit Kasse oder Aufseher und ein kleinerer Raum für den Kustos und seinen Vertreter«, so Prokop an den Ersten Sekretär der Bezirksleitung der SED . »Die Räume sind gut verschließbar zu gestalten. Personal: Ein Kustos halbtägig, ein Vertreter halbtägig, ein Aufseher, eine Hilfskraft halbtätig zum Beschriften.
Solche kleine Museen sind eine große Attraktion, und Berlin hat durch Skladanowsky [Fotograf Max Skladanowsky, 1863–1939] und andere eine große Tradition auf dem Sektor Fotografie und Film.
Sie verstehen sicher, was ich meine, wenn ich sage, dass ich nunmehr 63 Jahre alt bin und noch etwas für Berlin tun möchte, für eine Stadt, die mein Lebenswerk mit der Tätigkeit an der Humboldt-Universität gefördert hat.
Da Sie meine Arbeit vielleicht nicht kennen, lege ich einige Belege bei, die vielleicht die Ernsthaftigkeit meiner Bemühungen unterstreichen.«
Der eindringliche Ton zeigt, wie ernst es Prokop war. Sollte das Museum entstehen, bot er sogar an, noch weitere Fotoapparate zu stiften.
Die Partei sendete das Original seines Briefes allerdings bloß an den Berliner Oberbürgermeister – mit der Anregung, Prokops Sammlung im Zeiss-Planetarium unterzubringen. Es wurde 1987 in Berlin eröffnet und war damals schon in Planung. Dann versandete die Sache allerdings, und das Foto-Museum wurde nie gegründet.
Schwefel, Sex und Suizid
Die zweite Auflage des »Atlas der gerichtlichen Medizin« aus dem Jahr 1987 wurde vom früh verstorbenen Georg Radam mit herausgegeben. Radam war Professor für kriminalistische Medizin und Biologie sowie Facharzt für Rechtsmedizin an der Charité. Die gerichtsmedizinischen Institute in Halle und Leipzig, denen Prokop ebenfalls – nach seiner Aussage praktisch unbezahlt, de facto für insgesamt knapp 3000 Mark zwischen 1958 und August 1961 – zeitweise vorgestanden hatte, lieferten für die neue Auflage frisches Foto- und Fall-Material. Auch die Hauptabteilung K [Kriminalpolizei] des Ministeriums des Inneren und der rechtsmedizinische Kollege Neoral aus der ČSSR steuerten Fälle bei, Letzterer unter anderem mit einem eindrucksvollen Sexualmord an zwei alten Damen. In der dritten Auflage des Atlas aus dem Jahr 1992 wurde Radam immer noch als Autor angegeben, obwohl er da, wie auch Waldemar Weimann, schon nicht mehr lebte.
Obwohl der Atlas in allen Auflagen komplett in schwarz-weiß gedruckt wurde, ist er auch nach heutigen Maßstäben zu Lehrzwecken und als Nachschlagewerk sehr gut geeignet. Klassische Todesarten wie Leuchtgasvergiftungen oder das saubere Abtrennen des auf Schienen gelegten Kopfes durch Eisenbahnen – das man heute wegen der Hochgeschwindigkeitszüge und deren Luft- und Leichen-Verwirbelungen kaum noch sieht – finden sich im Atlas in feinster fotografischer Auflösung auf gestrichenem, gutem, festem Papier abgebildet.
Auch Verletzungen durch Selbstsprengungen und hochgegangene Blindgänger sowie das Trinken von Schwefelsäure (eine früher häufigere Kindstötungs- und Selbstmordart) und den Tod durch eine Messerwurfmaschine sieht man heute zu selten, um sie in moderner Literatur nachschlagen zu können.
Krankheiten, die wir heute leichter beherrschen, sind im Atlas ebenfalls eindrücklich im Bild dargestellt. Beispiele dafür sind »absonderliche« Fundsituationen von »Epileptikern«, die sich den ganzen Körper tief zerschnitten hatten oder kniend (tot) im Bett angetroffen wurden:
»Die Verstorbene hatte in der Nacht vor ihrem Ableben mit einem Bekannten fünfmal geschlechtlich verkehrt«, so der Bild-Text. »Im letzten Fall hatte sie selbst die Stellung gewählt, in der sie später tot aufgefunden wurde. Der Bekannte hatte ihr Zimmer verlassen, da er der Meinung war, sie sei eingeschlafen« – kein Sexualverbrechen, sondern ein epileptischer Anfall also.
Da im Atlas neben Fäulnis, Schuss und Ertrinken auch sexuelle Gefahren umfangreich dargestellt sind, fehlten auch Todesumstände wie »Erhängen in sexueller Maskerade« – eine Unterart der bis heute auftretenden autoerotischen Unfälle – nicht.
»Nur Anfänger im Fach«, schrieb Prokop im Vorwort zur dritten und letzten Ausgabe des Atlas, »halten unsere Fälle für sensationell und aufregend. Doch nach wenigen Jahren schon können sie ihre Fälle in unseren wiederfinden. Selbst der tragische frühe Tod meines guten Mitarbeiters Professor Radam weicht nicht von Fällen ab, die wir selbst dargestellt haben.«
Es gab nur ein Problem. Suizide waren in Ostdeutschland
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