SGK240 - Blut des toten Dämons
Erschöpfung versagte.
Niedergeschlagen und schluchzend ging sie
langsam in die Knie, hockte sich auf den feuchten zerklüfteten Felsboden und
versuchte, ihre aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.
Sie durfte sich nicht vorstellen, wo sie sich
befand, um nicht wieder an jene grauenhafte, ratlose dem Wahnsinn nahe Stimmung
zu geraten.
Ein winziges, durch vulkanische Tätigkeit
entstandenes Eiland war alles, worauf sie ihre momentane Sicherheit gründen
konnte.
Auch Tatakoto war eine Vulkaninsel, und wenn
man sich längere Zeit in solcher Umgebung aufhielt, bekam man so etwas wie einen
Inselkoller. Der Gedanke daran, dass nur wenige Quadratkilometer Land zur
Verfügung standen und ringsum die Weite des Pazifik sich dehnte, konnte einem schon zusetzen.
Um wieviel schlimmer aber war erst die
Situation, in die sie jetzt geraten war.
Sie war abgeschnitten von jeglichem Kontakt
mit anderen Menschen, konnte sich nicht mitteilen und nicht die geringste Hilfe
herbeiholen...
Was ihr zusätzlich zu schaffen machte, war die
Atmosphäre, die hier herrschte. Mit jedem
Atemzug, den sie tat, spürte sie die Verlorenheit, die Beklemmung. Die
Eintönigkeit dieser winzigen Insel war eine einzige Folter.
Sie durfte nicht daran denken, was
erst werden würde, wenn der Tag anbrach.
Die Sonne - Erbarmungslos würde sie vom
wolkenlosen Himmel auf die winzige Vulkaninsel herabbrennen. Hier gab es keine
Möglichkeit, sich vor knalliger Hitze zu schützen.
Da hörte sie ein Geräusch...
In das gleichmäßige Rauschen des Wassers, das
sie unablässig umgab, mischte sich ein leiser, schmatzender Ton, für den sie im
ersten Augenblick keinen Grund sah.
Und als sie ihn sah, wusste sie, dass
es für sie den morgigen Tag nicht mehr gab.
Der Dämon aus der Tiefe des Meeres, von denen
die Eingeborenen immer sprachen, der Dämon, der stets dann kam, wenn hier ein
straffällig Gewordener ausgesetzt wurde - Chantalle Rochard sah ihn!
Es war eine fast farblose, quallige Masse, die
sich ringförmig über die Korallenwand der winzigen Vulkaninsel schob und
langsam und blasenwerfend mit jeder Wellenbewegung näher kam.
Chantalle Rochard meinte im ersten
Augenblick, einer Täuschung zu erliegen.
Vielleicht war sie vor Angst und Ratlosigkeit
schon so verrückt, dass sie Dinge sah, die es eigentlich gar nicht gab.
Schmatzend schob sich die glitschige Masse
näher, bedeckte jetzt den gesamten Korallenwulst und die ersten Ausläufer des
nackten, zerklüfteten Vulkangesteins, das wie ein praller, gespaltener Buckel
eines urwelthaften Tieres aus dem Meer ragte, sich einige Meter hoch erhob, um
schließlich wieder zerklüftet und bizarr abzufallen.
Langsam und zitternd schraubte Chantalle
Rochard sich in die Höhe, presste beide Hände vor den Mund, um nicht lauthals
aufzuschreien, und starrte auf das formlose, vibrierende, atmende Etwas, das
sich aus dem Wasser schob, höher und höher wurde und ringsum einen
schleierartigen Mantel bildete, der die Insel umschloss, als wolle das Scheusal
dieses winzige Eiland verschlingen!
Chantalle Rochard schrie wie von
Sinnen.
Ihr Schrei hallte ungehört über die See, brach
sich in den schleimigen, gazeartigen Zellen, die ringsum eine röhrenförmige
Hülle bildeten, in der die Französin stand und durch das dunkle, leicht bewegte
Meer sah - wie durch ein mit einem Vorhang versehenes Fenster.
Das formlose Etwas aus der Tiefe, das keinen
Namen und keine Berechtigung hatte, schwappte über Chantalle hinweg wie ein
Brecher.
Das also war es!
Das war das Ungeheuer, das diejenigen fraß, die
hierher kamen, um nie mehr zurückzukehren. Niemals hatte jemand von dem
berichten können, was sich wirklich auf der „Knocheninsel" abspielte,
warum man nichts mehr von denen fand, die man dort aussetzte.
Sie wusste es jetzt. Doch es gab niemand mehr,
dem sie es hätte erzählen konnte.
Sie schrie noch immer.
Dann verstummte ihr Schrei, und die riesige
Qualle, der namenlose Dämon der Eingeborenen, dieses unförmige, gespenstische
Etwas aus einer fernen, menschenlosen Zeit der Erde stülpte sich wie ein
zerfließender Kegel über die winzige Vulkaninsel, schwappte darüber hinweg und riss
die eingeschlossene Chantalle Rochard mit sich in die Tiefe.
Das Eiland lag so leer und verlassen
wie zuvor.
*
Die Nacht verlief für Larry Brent ohne
Zwischenfall.
Als er die Augen aufschlug, schien die volle
Sonne durch das Fenster seines Zimmers. Der Himmel war strahlend blau und
wolkenlos.
Was für
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