SGK318 - Lady Draculas Vampir-Villa
drückte dem Mädchen eine Fünfpfundnote
in die Hand. »Tut mir leid, daß Sie so angefahren wurden. Es war mir nicht
recht, das dürfen Sie mir glauben. Lady Agatha hat sicher viel um die Ohren.
Sie war mit einem Mal nervös .«
»Ja, das war sie«, sagte Mary rauh.
Ohne besondere Eile zog sie den letzten Laden zu. Durch die
kleinen quadratischen Fenster zwischen den Sprossen waren nun die Jagdszenen zu
sehen. Gerahmte Bilder, die links und rechts von einem schweren Samtvorhang
drapiert wurden.
Mary starrte auf die Banknote.
Erst jetzt schien ihr zu Bewußtsein zu kommen, was Morna
Ulbrandson ihr da zugesteckt hatte.
»Nein, Mylady, das kann ich nicht annehmen.«
»Aber warum denn nicht?«
»Das ist zuviel!«
»Das ist es keineswegs. Mir macht es Freude, Ihnen das zu
schenken. Nun stecken Sie’s schon weg, Mary. Kaufen Sie sich etwas Schönes. Tut
mir leid, daß ich im Moment nicht mehr für Sie tun kann ... Sie sind sehr
nett.«
Da zuckte ein Lächeln um die Lippen der anderen. »Danke, vielen
Dank, Mylady!« Ihre Hand lag schon auf der Klinke. Marys Lächeln verschwand
abrupt. »Bleiben Sie nicht hier«, wisperte sie, und Morna Ulbrandson glaubte,
sich verhört zu haben. »Nicht hier in diesem Haus ... fliehen Sie, reisen Sie
ab - wenn es noch nicht zu spät ist für Sie!«
*
Zwei Sekunden wirkte sie, als sie das sagte, wie eine Abwesende.
»Mary!« stieß Morna hervor. »Was ist denn los mit Ihnen? Wieso
sagen Sie so etwas?«
Das Mädchen fuhr wie unter einem Peitschenschlag zusammen. »Ich
... nichts ... Mylady ...«:
»Warum geben Sie mir diesen Rat? Weshalb soll ich abreisen? Was
ist das für eine Gefahr, von der Sie reden?«
»Abreisen . Gefahr?« stotterte Mary, und sie sah aus, als würde
sie aus einem Traum erwachen.
»Ich habe nichts gesagt .... bitte, verraten Sie mich nicht ...
Oh, mein Gott!« Sie biß auf ihre Unterlippe und wurde weiß wie Kalk.
»Was habe ich da ... gesagt?« fragte sie, ihre Stimme klang wie
ein Hauch. War aber voller Entsetzen.
»Hoffentlich hat es . niemand . gehört .«
Sie sah sich mit großen Augen um und wirkte in diesem Moment wie
jemand, der seine fünf Sinne nicht mehr beisammen hat. »Ich durfte das ...
nicht sagen ... wollte es nicht ... Aber Sie waren so freundlich zu mir. So war
. noch keine Frau, in deren Gegenwart Lady Agatha mich gemaßregelt hat . Es muß
mir einfach so herausgerutscht sein .«
Sie war zu verwirrt, als daß man sie noch hätte ansprechen können,
riß die Tür auf, lief in den Korridor und dann unter der überdachten Pergola
entlang, an der sich blühende Rosen emporrankten. Sie verschwand im
gegenüberliegenden Haus, in dem die Gäste wohnten, die weniger zahlten als die
reiche Mrs. Ulman .
Eine Minute stand Morna an der Tür und blickte dem entschwindenden
Mädchen nach.
Mary hatte Angst.
Wovor?
Steckte doch etwas hinter den Andeutungen, die Gladys Moon gemacht
hatte und die ihr und Laszlo Ferencz alias X- RAY-8 möglicherweise das Genick
gebrochen hatten?
Lady Agatha war eine rätselhafte Person. Morna wollte sie
unbedingt näher kennenlernen. Vielleicht war heute nacht der Zeitpunkt
besonders günstig. Lord und Lady Lanister hatten das Haus voller Gäste, und man
konnte sich unbemerkt umschauen.
Sie mußte gähnen.
Die Müdigkeit kam ganz plötzlich.
Es war ein anstrengender Tag gewesen. Der Aufbruch von ihrem
letzten Einsatzort, der Flug, der unerfreuliche Zwischenfall im East End . das
alles war viel, aber nicht zuviel, um plötzlich so müde und antriebslos zu
sein. Es nützte nichts mehr, daß sie dagegen ankämpfte.
Ihr fielen förmlich die Augen zu, und sie war nicht mehr in der
Lage, die Lider zu heben.
Morna Ulbrandson atmete schwer.
Sie mußte sich setzen. Ihr Herz schlug schwach, als ob es das Blut
nicht mehr kraftvoll genug durch die Arterien treiben könnte. Was war nur los
mit ihr?
Das war nicht nur Müdigkeit allein - sie fühlte sich krank. Etwas
in ihr begann zu wirken .
Der Kräuterlikör!
Siedendheiß fiel es ihr ein. Sie hatte mit ihm ein Betäubungsmittel
oder Gift getrunken .
Wie Blei strömte das Blut durch ihre Adern. Ihr fiel das Denken
schwer. Aber sie war noch nicht so abwesend, um den Widerspruch nicht zu
erkennen.
Lady Agatha hatte auch getrunken! Sie mußte doch gewußt haben, was
sich in der Karaffe befand?
Sie fühlte sich so schwach, daß sie sich zurücklegen mußte.
Ihr fieberndes, pochendes Hirn schickte letzte, ersterbende Bilder
in ihr Bewußtsein.
Lady Agatha
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