Shadowdwellers - Frank, J: Shadowdwellers
intensiven Farben über einer Haut, deren Ton von Mokka bis zu gebranntem Siena spielte. Sie hatten ausdrucksvolle Gesichtszüge, und ihre glutvollen Augen waren mit schwarzem und rostbraunem Kajal geschminkt, und obwohl sie einer konservativen Kultur entstammten, hatten sie einen ausgeprägten Willen und wussten genau, was sie wollten.
Ashla hatte nichts von alledem. Nicht einmal annähernd. Wenn Trace solche Frauen gewöhnt war, was hatte er dann in ihr gesehen?
»Ashla«, grüßte Karri sie freundlich, als sie von Osten her den Hof betrat. »Wie geht es dir heute Abend?«
»Ich fühle mich ein bisschen verloren«, seufzte sie aufrichtig.
»Wirklich? Warum?« Die Dienerin setzte sich rasch neben sie und legte ihr tröstend eine Hand aufs Knie.
»Wegen Trace«, antwortete sie unverblümt, da sie, wie sie fand, an diesem Punkt nichts mehr zu verlieren hatte. Außerdem war Karri so etwas wie eine Nonne, oder nicht? Wahrscheinlich gab es so etwas wie eine Vertraulichkeitsregel.
»Ach. Ich habe gesehen, dass er wieder hier war. Hat er noch nicht mit dir gesprochen?«
»Ich glaube nicht, dass er das will«, sagte sie schulterzuckend. »Er kommt mir nicht gerade schüchtern vor, also nehme ich an, er will einfach nicht.«
»Nein, Trace ist alles andere als schüchtern«, stimmte Karri wissend zu. Zu wissend, genau genommen. Ashla spürte einen heißen Anflug von Eifersucht, als sie die klare und schlichte Schönheit Karris betrachtete. Sie trug den mitternachtsblauen Sari der Dienerinnen und hatte das Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Sie trug Armspangen und eine goldene Halskette wie die meisten anderen auch, und ihre Fingernägel waren in der Farbe ihrer Tracht lackiert. Sie war nicht mit Schmuck behängt und nicht geschminkt, doch sie war noch jung und hübsch. »Weißt du, er ist hier aufgewachsen.«
»Hier. Du meinst wirklich hier? Im Tempel oder wie ihr das nennt?«
»Tempel oder meistens Sanktuarium. Sanktuarium schließt alles mit ein, Tempel bezieht sich mehr auf das Hauptgebäude.«
»Danke«, sagte Ashla und kam sich dumm vor, wie immer wenn ihr ein solcher Fauxpas unterlief. »Er hat also im Sanktuarium gelebt?«
»Ja. Er ist Magnus’ Sohn.«
»Sein Sohn! Aber … ist Magnus nicht ein-ein Priester? Wird von ihnen nicht erwartet, dass sie keusch leben?«
»Trace ist Magnus’ Ziehsohn. Wir machen diesen Unterschied selten, weil es als unhöflich gilt. Magnus betrachtet Trace, als wäre er sein eigen Fleisch und Blut, und wir sollten das auch tun. Was das Zölibat betrifft, so ist Magnus nicht mehr und nicht weniger eingeschränkt in sexuellen Kontakten als jeder verheiratete Mann, ausgenommen bei religiösen Festen, die seine Anwesenheit erfordern. Sex ist ein ganz natürlicher Instinkt und dient wichtigen Zwecken im Leben. Es ist nicht besonders sinnvoll, wenn ein religiöser Führer Ratschläge zu Sex, Familie und Partnerschaft gibt und das alles selbst nicht hat. Doch statt einer Ehefrau steht ihm eine Dienerin zur Verfügung.«
»Du meinst – du musst mit ihm Sex haben, wann immer er will, nur weil du seine Dienerin bist?«
»Nein! Oh nein! Einvernehmlicher Sex steht in jeder Beziehung an erster Stelle. Ich bin nicht verpflichtet, öfter mit ihm zu schlafen, als er verpflichtet ist, es mit mir zu tun. Es bedeutet nur, dass, bis der Tod unseren religiösen Bund als Priester und Dienerin löst, ich seine einzige Wahl bin, sollte er sexuell aktiv werden wollen. Und er ist ebenfalls meine einzige Wahl. Allerdings haben wir beide das Recht, jederzeit abzulehnen. Es ist schwer zu erklären, wenn man den religiösen Hintergrund nicht genauer kennt, und du siehst nicht so aus, als hättest du heute die Geduld dafür.«
»Ehrlich gesagt, hast du recht. Es wäre mir lieber, du erzählst mir, was du über Trace weißt, damit ich ein bisschen schlauer aus ihm werde. Ich bezweifle allerdings, dass mir das gelingt … Aber ich will es versuchen.«
»Also, was möchtest du wissen?« Karri warf einen verstohlenen Blick zum Haupttempel.
Darin lag tatsächlich die Herausforderung. Ashla wollte nicht irgendjemandem die Informationen aus der Nase ziehen. Sie wollte Trace das alles fragen oder zumindest die Gelegenheit haben, mit ihm zusammen zu sein, um es selbst herauszufinden. Das wäre schön gewesen.
Trotzdem merkte sie, dass sie keine der persönlichen Fragen stellen konnte, die ihr im Kopf umgingen. Was war mit seinen Eltern passiert, dass er ein Pflegekind geworden war? Und wie alt war
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