Shakran
kritisch musterte. Sie hatte noch Blutflecken im Gesicht.
Offenbar kannte Audrey den Mann vom Secret Service schon länger. Klar, dachte Mark, wenn sie ihn Onkel Tony nennt. Er nickte ihr freundlich und aufmunternd zu, als Moire ihn vorstellte. Ihr Blick gefiel ihm. Offen, direkt. Man sah ihr an, dass sie etwas Traumatisches erlebte hatte, aber auch, dass sie sich dem stellen würde. Pure Willenskraft. Wie lange sie das durchhalten konnte, stand allerdings auf einem anderen Blatt.
Es klopfte. Val, die am nächsten an der Tür stand, öffnete sie zuerst nur einen Spalt breit, dann nahm sie dankbar lächelnd eine Thermoskanne und einen Plastikbecher entgegen. »Leider nur schwarz«, meinte der Techniker von draußen.
Val brachte beides zu Audrey und schenkte ihr Kaffee ein. Er roch stark und bitter. Typischer Polizeikaffee. Audrey trank einen kleinen Schluck. Ohne mit der Wimper zu zucken, stellte Mark fest.
»Danke. In der Küche ist auch was passiert, nicht wahr?« Sie sah Moire fragend an.
Der nickte. »Agent Sorensen.«
»Ich dachte mir schon so was.«
Steve und Mark legten fast gleichzeitig ein Aufnahmegerät auf den Tisch. Sofort hob der Arzt die Hand. Er wirkte ein bisschen verlegen, aber seine Stimme war fest.
»Ich möchte Sie bitten, der jungen Dame möglichst bald Ruhe zu gönnen.«
Terry lächelte den Arzt an. »Keine Sorge. Dies ist kein Verhör. Wir wollen nur so schnell wie möglich ein paar Informationen. Vielleicht hilft uns das, den Täter schnell zu fassen.«
Audrey Malvern schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Aber okay. Also: gut eins achtzig groß, schlank, leichter Bauchansatz, breite Schultern, schwarze Haare, braune Augen, ein Van-Dyke-Bärtchen, eine dünne Narbe auf der rechten Wange, ein goldener Ohrring rechts. Ganz in Schwarz gekleidet, großes goldenes Kreuz auf der Brust.«
»Das ist eine hervorragende Beschreibung«, sagte Val freundlich. Audrey lächelte gequält. »Ich habe Zeichnen als Nebenfach belegt. Man lernt dabei, Gesichter genau anzusehen.«
Ein paar Sekunden lang war es still im Raum.
Mark schob Audrey eine Zeichnung zu. Es war das Phantombild des Attentäters, das aufgrund von Acorns Beschreibung angefertigt worden war.
Sie sah das Bild lange an. »Ist das der Mann, der Daddy ...?«
Mark nickte.
Tränen traten ihr in die Augen. »Kann sein.« Sie schien erst jetzt zu bemerken, dass sie weinte, und wischte die Tränen mit dem Handrücken weg. »Er war ...« Sie stockte. »Er war sehr höflich ... Verdammte Scheiße! ... Warum hat er das getan? ... Wie ...?«
Audrey fing plötzlich an zu zittern. Val ging zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie sah die anderen an und schüttelte den Kopf.
Mark und Steve schalteten die Recorder wieder aus. Val machte eine Kopfbewegung in Richtung Tür, warf auch dem Arzt und dem anderen Polizisten einen Blick zu.
Alle verließen leise den Raum, auch der Arzt, obwohl er nicht genau zu wissen schien, warum.
»Ich muss ...«, sagte er, brach aber ab, als Mark ihn am Arm fasste und hinter sich herzog. »Agent St. Clair ist ausgebildete Psychologin. Ihre Tochter ist so alt wie Audrey. Außerdem kennen sie sich. Sie können sich darauf verlassen, dass Val auf Audrey aufpasst, Doktor.«
Der Arzt nickte erleichtert. »Ich bin Chirurg. Ich weiß, was ich tun muss, aber mit weinenden Frauen ...«
Die Männer nickten, während Terry die Augenbrauen hochzog.
Steve führte sie zur Bibliothek.
Der Arzt verabschiedete sich. »Meine Arbeit ist getan. Jetzt sind Sie dran.«
Steve hatte die Klinke schon in der Hand, als er sich zu Mark umdrehte. »Ich muss dich warnen. Es ist heftig.«
Die Leichen waren noch an ihrem Platz. Die Armlehnen des Sessels in der Mitte waren blutig, Reste von Kabelbindern lagen säuberlich nebeneinander auf dem Sitzkissen.
Rechts davon saß Mrs Malvern, die Augen weit aufgerissen, ein entsetzter, ungläubiger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Die einzige Verletzung, die bei ihr zu sehen war, war das Loch in der Stirn.
Links von dem leeren Sessel saß der Kaplan auf dem Boden, er war an einem Heizkörper festgebunden. Die leeren Augenhöhlen starrten Mark vorwurfsvoll an. Er war nackt bis auf seine Unterhose. Seine Beine waren von den Knien abwärts in Blut getaucht. Der Täter hatte ihm die Kniescheiben entfernt. Mark musste blinzeln. Er hatte das Gefühl, als würde der Raum sich um ihn drehen. Er schloss die Augen und atmete tief durch.
Als er sie wieder öffnete, fiel sein Blick auf eine junge Frau.
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