Shannara II
hin, während sie marschierten, und blieb häufig stehen, um sich zu Blumen und Pflanzen hinunterzubeugen, die auf den grünen Matten der Ebene wuchsen. Mit Wil sprach sie wenig. Sie antwortete ihm freundlich, wenn er sie ansprach, und lächelte geduldig, wenn er ihr Fragen über das Pflanzenleben stellte, das sie so fesselnd fand. Die meiste Zeit jedoch blieb sie ihm gegenüber zurückhaltend und unzugänglich, lehnte es ab, sich in ein allgemeines Gespräch verwickeln zu lassen. Sie verkroch sich hinter den Mauern jener geheimen Eigenwelt, in die sie sich geflüchtet hatte, seit sie diese Wanderung aufgenommen hatten.
Im Laufe des Tages ertappte sich Wil immer wieder dabei, daß seine Gedanken zu Eretria wanderten. Er fragte sich, ob sie wirklich, wie sie gedroht hatte, Cephelo und seine Familie verlassen würde, ob er sie in der Tat eines Tages Wiedersehen würde. Das Mädchen besaß eine sprühende Lebendigkeit, die ihn faszinierte. Sie erinnerte ihn an eine flüchtige Vision, wie sie die Sirenen heraufzubeschwören pflegten, die auf dem Schlachtengrund wuchsen - betörend und verlockend, ein Bildnis, das wilde und herrliche Gefühle weckte. Er lächelte über den Vergleich. Unsinnig im Grunde. Sie war aus Fleisch und Blut, sie war kein Bildnis. Doch wenn er ihr je näherkommen sollte, würde er dann entdecken, daß sie, wie die Sirene, Blendwerk war? Sie hatte etwas an sich, das diesen Verdacht in ihm weckte, und es beunruhigte ihn stark. Er hatte nicht vergessen, wie sie ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um seines zu retten; schrecklich wäre es ihm gewesen, erkennen zu müssen, daß der Edelmut Schein gewesen war.
Als die Nacht hereinbrach, schwenkten sie nach Westen und folgten der Linie des Waldes, der sich nordwärts dehnte zu den Weiten der Streleheim-Ebene. Als die Dunkelheit sie umhüllte, lenkte Wil Artaq in den Wald hinein, und sie folgten einem kleinen Bach durch die Bäume bis zu einem weißschäumenden Wasserfall. Dort schlugen sie ihr Nachtlager auf. Sie fütterten und tränkten Artaq, ehe sie an sich selbst dachten. Da ein Feuer vielleicht zu gefährlich wäre, begnügten sie sich mit einem Mahl aus Früchten und Kräutern, die Amberle im Lauf des Tages gesammelt hatte. Wil war diese Kost fremd, doch sie schmeckte ihm. Mit der Zeit, dachte er, würde er sich vielleicht sogar daran gewöhnen. Er hatte die letzte der merkwürdigen, länglichen orangefarbenen Früchte beinahe verzehrt, als das Elfenmädchen ihn plötzlich mit einem fragenden Blick ansah.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich dir eine Frage stelle?« wollte sie wissen.
Er lachte. »Woher soll ich wissen, ob es mir etwas ausmacht, wenn ich gar nicht weiß, was du mich fragen willst?«
»Du brauchst nicht zu antworten, wenn du es nicht willst - aber die Frage geht mir schon im Kopf herum, seit wir gestern abend aus dem Lager der Fahrensleute fortgeritten sind.«
»Dann frag doch.«
Auf der kleinen Lichtung, wo sie saßen, herrschte tiefe Dunkelheit. Das bleiche Licht des Mondes und der Sterne konnte nicht durch das Gewirr dichtbelaubter Äste hindurchdringen. Amberle rückte näher an Wil heran, so daß sie sein Gesicht schwach erkennen konnte.
»Versprichst du mir, ehrlich zu antworten?« Sie sah ihn eindringlich an.
»Ja.«
»Als du die Elfensteine gebrauchtest, hast du da - « Sie zögerte, als sei sie sich des Wortes nicht recht sicher, das sie verwenden sollte. »Hast du dich da - verletzt?«
Überrascht blickte er sie an, und in den Tiefen seines Geistes regte sich eine plötzliche Vorahnung, unbestimmt und verschwommen noch, aber spürbar.
»Das ist eine seltsame Frage.«
»Ich weiß.« Sie nickte, und ein schwaches Lächeln huschte über ihre Züge, dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Ich kann es eigentlich nicht richtig erklären - es war ein Gefühl, das ich bekam, als ich dich beobachtete. Anfangs hatte es den Anschein, als könntest du den Elfensteinen gar nicht deinen Willen aufzwingen. Du hast sie hochgehalten und es geschah nichts, obwohl ganz deutlich zu sehen war, daß du versuchtest, dich ihrer Kraft zu bedienen, um den Dämon aufzuhalten. Und als die Steine dann schließlich doch reagierten, da ging eine Veränderung mit dir vor - dein Gesicht zeigte es ganz deutlich - es sah aus wie ein großer Schmerz.«
Wil nickte sinnend. Er erinnerte sich jetzt, und die Erinnerung war nicht erfreulich. Bis zu diesem Augenblick hatte er sie aus seinem Geist verbannt gehabt - ohne nachzudenken, beinahe wie
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