Shannara III
an ihren Hosenbeinen hinabschnüffelte. Ihr war klar, daß das Mädchen sie auf die Probe stellte - sie benutzte die Katze, um ihre Reaktion zu prüfen. Ihr stellten sich die Nackenhaare zu Berge, als die riesige Schnauze nach ihr stieß. Was sollte sie machen? Sollte sie einfach nur stehenbleiben? Sollte sie das Tier anfassen, um zu beweisen, daß sie keine Angst hatte? Aber sie hatte nun einmal Angst, und diese Angst erfaßte ihren ganzen Körper. Gewiß würde das Tier es riechen, und dann…
Sie faßte einen Entschluß. Sie begann leise zu singen. Die Worte schwebten in der dunklen Abendstille, zogen durch die Ruhe der kleinen Lichtung, dehnten sich aus und streichelten wie zärtliche Finger. Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe das Wünschlied seine Zauberkraft entfaltete, und der Riesenkater setzte sich auf die Hinterläufe zurück und hielt die leuchtenden Augen auf das Talmädchen gerichtet. Er blinzelte schläfrig im Rhythmus des Liedes und legte sich lammfromm zu ihren Füßen.
Brin verstummte. Einen Moment lang sprach keiner ein Wort.
»Teufel seid ihr!« kreischte der alte Mann schließlich mit boshaftem Ausdruck in dem verwitterten Gesicht.
Das Mädchen trat wortlos vor und stellte sich direkt vor Brin. In ihren Augen stand keine Angst, nur Neugier. »Wie hast du das gemacht?« erkundigte sie sich offenbar erstaunt. »Ich hätte nicht geglaubt, daß irgend jemand das schaffen würde.«
»Es ist eine Naturbegabung«, antwortete Brin.
Das Mädchen zögerte. »Du bist kein Teufel, oder? Du bist keiner von den Wandlern oder etwas geistig Verwandtes zu ihnen?«
Brin lächelte. »Nein, nichts dergleichen. Ich habe nur dieses Talent.«
Das Mädchen schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich hätte nicht gedacht, daß jemand Wisper so weit bringt«, wiederholte sie.
»Sie sind Teufel«, behauptete der Alte hartnäckig und stampfte wieder mit seiner Sandale auf.
Inzwischen war Wisper aufgestanden und zu Rone hinübergeschlendert. Der Hochländer schreckte vor Überraschung zusammen und warf Brin dann einen flehentlichen Blick zu, als das Tier seine schwarze Schnauze gegen ihn stieß. Es schnupperte noch einen Augenblick neugierig an seinen Kleidern. Dann riß es plötzlich die großen Kiefer auf, biß spielerisch in den rechten Stiefel und begann, daran zu zerren. Rone verlor rasch endgültig die Fassung und versuchte, sich zu befreien.
»Ich glaube, er will mit dir spielen«, erklärte das Mädchen, und ein schwaches Lächeln trat auf ihre Lippen. Sie warf dem alten Mann einen wissenden Blick zu, der nur unzufrieden knurrte und sich noch ein paar Schritte von ihnen entfernte.
»Vielleicht… könntest du… das sicherheitshalber genau in Erfahrung bringen?« keuchte Rone gereizt und wehrte sich nun heftig, seinen Schuh zu behalten, als die große Katze dem Stiefel schwer zusetzte.
»Wisper!« rief das Mädchen scharf.
Das riesenhafte Tier ließ sogleich von Rone ab und trottete an ihre Seite. Sie griff unter dem kurzen Umhang hervor und kraulte grob den zottigen Kopf, daß ihr das dunkle Haar ins Gesicht fiel, als sie sich vorbeugte und ihren Kopf nahe an den seinen schob. Sie sprach ihm einen Augenblick lang leise zu und schaute dann wieder zu Brin und Rone.
»Ihr scheint eine gute Hand für Tiere zu haben. Wisper ist ganz hingerissen von euch.«
Brin warf einen kurzen Blick zu Rone, der sich abmühte, den Stiefel an seinem Fuß wieder zurechtzuziehen. »Ich glaube, Rone wäre ganz froh, wenn Wisper seine Hingerissenheit nicht so heftig demonstrieren würde«, bemerkte sie.
Darauf grinste das Mädchen breit, und eine Spur Schadenfreude blitzte kurz in ihren dunklen Augen auf. »Ich mag dich, Brin Ohmsford. Sei willkommen hier - du und auch Rone Leah.« Sie streckte eine schlanke, braune Hand zur Begrüßung aus. »Ich bin Kimber Boh.«
Brin ergriff die Hand und empfand in der Umklammerung eine Mischung aus Kraft und Sanftheit, die sie überraschte. Und sie war ebenso überrascht, als sie am Gürtel des Mädchens unter dem Kurzumhang ein Set gefährlich aussehender, langer Messer sah.
»Also, was mich angeht, mir sind sie nicht willkommen!« keifte der Alte hinter dem Mädchen hervor und holte mit seinem dürren Arm zu einer Bewegung aus, als wollte er sie alle beiseite wischen.
»Großvater!« mahnte Kimber Boh. Sie warf ihm einen scharfen, mahnenden Blick zu und wandte sich wieder an Brin. »Ihr müßt es ihm nicht übelnehmen. Er verhätschelt mich sehr. Ich stelle seine ganze Familie dar,
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